Von empfindlichen (Rechts-)Nachteilen
Ficht man einen Zwischenentscheid an, ist der drohende nicht wieder gutzumachende Nachteil rechtlicher Natur zu begründen (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). In einem aktuellen Entscheid sagt das Bundesgericht einmal mehr, was im Falle der Anfechtung eines Entsiegelungsentscheids nicht reicht (BGer 1B_427/2020 vom 19.05.2021):
Zur Begründung des drohenden nicht wieder gutzumachenden Nachteils bringt der Beschwerdeführer Folgendes vor: Im Falle einer Zulassung der Entsiegelung drohe ihm “ein empfindlicher Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte”, was ihn sehr belaste. “Damit” sei die Sachurteilsvoraussetzung von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG erfüllt (…).
Diese Vorbringen genügen nach der oben dargelegten Rechtsprechung nicht für eine gesetzeskonforme Substanziierung eines nicht wieder gutzumachenden Rechtsnachteils. Jede strafprozessuale Zwangsmassnahme und jede Entsiegelung führt definitionsgemäss zu einem Eingriff in die Grundrechte von Betroffenen (vgl. Art. 196 StPO). Der Beschwerdeführer legt weder dar, welche eigenen schutzwürdigen Privatgeheimnisse vom Entsiegelungsentscheid tangiert seien, noch, inwiefern der Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte “empfindlich” oder besonders belastend sei (E. 1.2., Hervorhebungen durch mich).
“Gesetzeskonforme Substanziierung” verstehe ich zwar nicht, aber es reicht eben nicht zu sagen, es drohe ein “empfindlicher Eingriff”. Man muss auch noch ausführen, inwiefern der drohende Eingriff empfindlich ist.
Wieso der Fall übrigens so lange in Lausanne hängig war und erst nach einem Monat publiziert wurde, ist aus dem Urteil nicht ersichtlich, erstaunt aber angesichts der Begründung sehr. Zudem kannte das Bundesgericht den Fall bereits aus einem früheren Verfahren (BGer 1B_425/ 2019 vom 24.03.2020; vgl. meinen früheren Beitrag). Damals war es auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft eingetreten, welche einen nicht näher substanziierten “empfindlichen Beweisverlust” behauptet hatte.
Und das nennt man dann ein faires Verfahren wenn wir eklatante ungleichgewichte in den Substanzierungsanforderungen zwischen den Parteien haben
…ein faires Verfahren wäre es dann, wenn der Beschuldigte nicht einfach “andere Gründe” geltend machen (nicht nachweisen, wo kämen wir den da hin…!) könnte, die sich im Entsiegelungsverfahren als substanzlose Zwängerei entpuppen, um die Erhebung der in de Papieren und Datenträgern erwarteten Beweise hinauszuzögern.
Und wieso wurde der Nichteintretensentscheid auch noch mit 3000 Franken Gebühren abgestraft ?
Wenn schon denn schon.
Die verfahrensdauer sehe ich auch kritisch. Gut 8 monate nach abschluss des schriftenwechsels für einen prozessentscheid. Nicht schlecht! Einer kantonalen vorinstanz hätte das bundesgericht wohl eine verletzung des beschleunigungsgebots vorgeworfen. Aber eben: qoud licet Iovi, non licet bovi…
Wohl war.
In Deutschland melden sich ja neuerdings vorsitzende BGH-Richter bei den Oberlandesgerichten und verlangen, dass mit Entscheidungen in (teils längst überfälligen) VW-Fällen noch zugewartet wird, weil man da nächstens einen Grundsatzentscheid fällen werde. Die OLG sind dann wenigstens so ehrlich und geben auch Auskunft, dass sie nun mitunter auf ausdrückliche “Bitte” des Senatsvorsitzenden noch ein wenig zuwarten.
Quellen:
https://www.presseportal.de/pm/105254/4950521
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https://abgasskandal.de/verdacht-eines-justizskandal-um-den-vorsitzenden-richter-des-vi-zivilsenates-beim-bgh/
Es erscheint mir durchaus sinnvoll und wünschenswert, dass die Anforderungen an eine Sieglung sehr hoch angesetzt werden. Der Grundsatz sollte die Beweismittelauswertung sein. Mobiltelefone bieten regelmässig eine Grosse Menge an Informationen und tragen daher zur Wahrheitsfindung bei.
Sollte sich auf dem Mobiltelefon privilegierte Informationen, wie etwa die Kommunikation mit der Verteidigung befinden, so ist das selbstverständlich davon ausgenommen. Es ist allerdings auch nicht schwer, diese genügend genau zu bezeichnen, etwa “Alle E-Mails und Chatverläufe zwischen X und RA Y”. Im Übrigen gelten für die Durchsuchung die selben Voraussetzungen, wie bei jeder Zwangsmassnahme: hinreichender Tatverdacht, Verhältnismässigkeit, etc.
Im Übrigen erscheint es als wenig sinnvoll eine Substantiierung des Beweisverlusts bei einer Aufrechterhaltung der Siegelung zu fordern. Da die Untersuchungsbehörde kein Wissen darüber haben kann, was sich auf einem Mobiltelefon für Informationen befinden, wäre dies regelmässig unmöglich, was wiederum zu regelmässiger Beweislosigkeit führen würde. Sollte der letzte Satz in diesem Beitrag tatsächlich – wie ich ihn verstehe – scherzhaft gemeint sein, so möchte ich für zukünftige Beiträge zu bedenken geben, dass der Kommentator “John” den Satz scheinbar ernst nahm…
Ich war selbst schon öfter vor BGE auch in Entsiegelungsachen, nein ich bin nicht Rechtsanwalt.
Wieso soll den aus einem Mobiltelefon alles Beweisrelevant sein ? Warum ist es der Staatsanwaltschaft nicht zuzumuten zu substanzieren das Sie zB auf:
Fotos
Nachrichten
In sonstigen Einträgen
Nach Standortdaten
Etc sucht bzw dort Beweise vermutet ? Das Ungleichgewicht der Siubstanzierungsanforderungen kenne ich aus eigener Erfahrung.
Es ist einfach eine billige Schutzbehauptung des Rechstaates das due Staatsanwaltschaft nicht weiss was auf den Geräten ist, im detail stimmt das natürlich aber das jedes Telefon Standortdaten erstellt oder jedes Smartphone Fotos beinhaltet weiss die Staatsanwaltschaft insofern ist es ihr auch durchaus zumutebar genauer zu substanzieren was Sie eigentlich wirklich sucht!
Ansonsten ist es von Fishing Expeditions mangels entsprechender differenzierung ja nicht wirklich zu unterscheiden.
Ein hinreichender Tatverdacht lässt sich für die Staatsanwaltschaft und die Zwangsmassnahmerichter auch immer behaupten, derartige Eingriffe in Grundrechte sind ja auch bei Übertretungen schon möglich
Insofern sollt gerade im Gegenteil die Anforderungen an Entsiegelungen sehr sehr hoch gehalten werden, ansonsten könnten wir ja auch zu 1984 wechseln wäre einfacher für Verurteilungen nicht ?
@John: So ist es. Nach Art. 246 StPO ist eine Durchsuchung nur zulässig, “wenn zu vermuten ist, dass sich darin Informationen befinden, die der Beschlagnahme unterliegen.” Das heisst, dass die StA die gesuchten Informationen spezifizieren muss und auch darlegen muss, wieso diese Informationen auf dem Smartphone zu finden sein sollen. Das ist in aller Regel einfach und hat die bei allen Zwangsmassnahmen erforderliche begrenzende Wirkung. In der Praxis ist es aber so, dass meist gar nichts begründet wird und vom Betroffenen verlangt wird zu substanziieren, wieso nicht durchsucht werden darf.
@John: Es macht keinen Sinn, nach Nachrichten, Fotos, sonstige Einträge oder Standortdaten zu substantiieren, weil die Relevanz zum Zeitpunkt des Siegelungsantrags oftmals nicht vorhersehbar ist. Sie machen mangels Praxiserfahrung m.E. den gleichen Denkfehler wie bestimmte Gerichte oder Teile der Rechtslehre (a.k.a. die “Leere”), Beispiele:
Fotos: Fotos können auch abfotografierte Nachrichten oder Dokumente enthalten. Das ist nicht unüblich heute. Genauso benützen immer mehr Leute die Sprachaufzeichnungsfunktion, um Botschaften zu senden. Fotos sind teilweise auch von Bedeutung, weil sie Freundeskreis, Eigentum (bspw. teure Uhr/Auto), geistige Verfassung und dergleichen nachweisen können. Das kann bspw. bei Vermögenseinziehung oder bei der Würdigung von Zeugenaussagen bedeutsam werden.
Standortdaten: Man weiss nie, welche Lügen später im Untersuchungsverfahren aufgetischt werden. Natel gestohlen? War gar nicht vor Ort beim Treffen XY? War zum Tatzeitpunkt im Ausland? Nicht reisefähig? Standortdaten können in der Untersuchung später plötzlich für die Wahrheitsfindung wichtig werden, auch wenn es gar noch nicht voraussieht.
Sonstige Daten: Aus dem gleichen Grund können Kalendereinträge, Registrydaten (Browser History ist häufig wichtig für subjektive Einstellung), Metadaten, etc. von erheblicher Bedeutung sein. Aussagekräftig können auch Daten sein, welche im Sinne eines Gesamtsystems erhoben werden, bspw. eine gesamte Buchhaltung, einen gesamten Kalender, die gesamte Aufzeichnung des Navigationsgerätes, etc.
Zufallsfunde: Anhaltspunkte auf weitere strafbare Handlungen sind zu verwerten und neue Strafverfahren zu eröffnen. Daraus ergeben sich dann zahlreiche neue sachrelevante Daten, welche zum Zeitpunkt des Siegelungsantrags nicht vorhersehbar waren. Hier müssen die Zwangsmassnahmengerichte mitdenken.
Zusammenfassend ist der wesentliche Unterschied zwischen Staat und Betroffenem: Die betroffene Person kennt den Inhalt, verfügt im Notfall noch über Akteneinsicht und kann genau sagen, welche Daten geheimnisbetroffen sind. Der Staat kann hingegen regelmässig nicht mit ausreichender Genauigkeit voraussehen und beschreiben, welche Daten später einmal beweisrelevant werden könnten. Das hängt vom Untersuchungsverfahren und vom Verhalten der Parteien ab.
@Anonymous: Anonym die Lehre als Leere zu bezeichnen ist einfach. Zu einfach ist es aber zu glauben, der Staat dürfe bei einem Tatverdacht alles tun, was der Wahrheitsfindung dienlich sein könnte. Was der Staat tun darf und wie er vorzugehen hat, steht im Gesetz. Wahrscheinlich finden Sie das Gesetz unnötig, aber ohne dieses Gesetz dürfte der Staat gar nichts, was Grundrechte berührt (Art. 36 BV). Aber was sage ich, Sie finden bestimmt auch die Verfassung blöd.
@ Anonym
1. eine Entsiegelung benötigt einen hinreichenden Verdacht, gmäss BGE heisst das das das inkriminierte Verhalten mit erheblicher Wahrscheinlichkeit die Tatbestandsmerkmale erfüllen kann.
Es benötigt also Konkrete Hinweise, zum einen auf Strafbares Verhalten (schon das ist in tatsächlicher Hinsicht oftmals eben nicht gegeben) und noch viel mehr benötigt es KONKRETE Hinweise das sich darin Beweiserhebliches befindet!
Konkrete Hinweise sind nicht unbelegte Tatsachenbehauptungen oder gar Vermutungen oder kriminalistische Erfahrung.
Wenn tatsächlich, wie eigentlich Notwendig KONKRETE Hinweise vorliegen, dann kann ich ganz genau Nahmhaft machen was ich suche, denn dann habe ich eben KONKRETE Hinweise das Beweise abfotografiert wurden zB oder ich habe KONKRETE Hinweise das Irgendetwas organisiert wurde dann weiss ich ich benötige Kommunikationsdaten.
In Tat und Wahrheit fehlen eben die konkreten Hinweise meist und damit soll dann einfach alles Verfahrensrelevant sein, da man ja nicht weiss wo man Beweise dann findet.
Natürlich Fotografieren sich auch die meisten Kriminellen bei Ihren Taten ganz im Sinne von Barry Seal & den Contras oder wie ? Daher sind Nackfotos auch immer Verfahrensrelevant.
Ihre Sicht ist sehr Einseitig ich nehme an Sie vertreten den Staat.
Warum kontrollieren wird die Handys nicht sukksessive von allen Personen immer mal wieder dann könnte man sicher auch Beweisrelevantes finden.
Bei Untersuchungsrichtern & Staatsanwälten vermute ich regelmässig Beweise für Amtmissbrauch auf diesen Geräten, sollten daher regelmässig entsiegelt werden.
Aber man weiss ja auch das unsere Eliten beim Staat sind, wer 3x durchs RA Patent fällt, wird dann halt Staatsanwalt und Entscheidet über 95% der Strafverfahren in Personalunion obwohl er nicht mal in der Lage war die RA Prüfung zu schaffen, ich kenne solche die sind heute leitende Staatanwälte…
Und Ergänzung, genau es geht ganz alleine darum Zufallsfunde zu generieren.
Das ist auch schön praktisch, denn wenn dann am Hauptvorwurf bzw am eigentlichen Verdacht nichts übeigbleibt, dann finde ich im Handy sicher andere Hinweise auf Strafbares Verhalten
(Wie bei jedem Menschen, alle aber wirklich ALLE Bürger haben Dreck am Stecken, wenn man Sie auseinandernimmt, auch Sie !)
Dann kann man dann die Verfahrenskosten unter irgend einem anderen Straftatbestand subsumieren und der beschuldigen Person auferlegen.
Staatsanwälte & Richter sollten wir laufend permament überwachen, zur Sicherung der Rechstaatlichkeit, wie fänden Sie das ? 3-4 Hausdurchsuchungen pro Jahr fände ich in Ordnung, schliesslich könnten wir da Zufallsfunde machen, und diese sind ja schliesslich zu verwerten.
Niemand in der Schweiz bricht mehr Gesetze als der Staat selbst….
@Tomas Lieven
Ich denke nicht das bei ihnen in der Schweiz überhaupt klar ist was ein hinreichender Tatverdacht überhaupt für eine Auswertung von Mobiltelefonen ist. Aus ihrer Literatur noch aus den Bundesgerichten gibt es hier eine feste Praxis. Ein weiteres Problem bei ihnen ist das sie keinen Richtervorbehalt kennen. Irgendwelche Staatsanwälte verfügen solche schweren Grundrechtseingriffe.
Wären meiner Tätigkeit als Anwalt habe ich in duzenden Fällen erlebt wie Fernfahren aus meinem Land denen z.B. Trunkenheit am Steuer, bzw. Nutzung eines Telefons wären der Fahr mit überhöhter Geschwindigkeit vorgworfen wurde stets zwei Sachen gemacht wurden, erstens eine DNA Profilerstellung, gleich ohne die nötige Verfügung der Stawa und noch eine Auswertung des Smartphones des Fahrers.
So kommen dann sehr selten Zufallsfunde wie Kinderpornografie, Telefonnummern von Prostituierte oder andere “Funde” raus.
Ich kann nur jeden Betroffen ratschlagen sein Telefon ausreichend mit Passwörtern zu sichern und mit einer unabhängigen Software zu Krypten. Natürlich sollten die Daten irgendwo auch sicher auf einem Spiegel sein damit man einige Monate ohne sein Handy auskommen kann.
Die Rechtsbehelfe Spiegelung und StPO Beschwerde finde ich völlig nutzlos und empfehle jedem Betroffenen darauf zu verzichten, da sie rein dem Klienten das Geld abzocken und rechtstaatlich nichts bringen.
So erlebte ich selber das StPO Beschwerden wegen Erstellung eines DNA Profils zbs. abgewiesen wurden und dann von der gleichen Kammer später nach StPO 431 als rechtswidrig bezeichnet wurden… Kurz… die Gerichte gehen nicht ordentlich durch die Sachen
Mieux vaut en rire; l’humour qui transparaît dans le commentaire a illuminé ma journée.
@Thomas Lieven: “Da die Untersuchungsbehörde kein Wissen darüber haben kann, was sich auf auf einem Mobiltelefon für Informationen befinden”? Damit ist ja eigentlich alles gesagt.
Und Ja, ich werde in künftigen Beiträgen garantieren, dass jeder jedes Wort richtig versteht. Vielleicht arbeite ich in Zukunft mit emojis.
Ich freue mich auf die farbliche Auffrischung des Blogs 🙂
@ KJ: Ich verstehe nicht, was Sie uns sagen wollen. Sollten Sie davon ausgehen, dass das Mobiltelefon nicht beschlagnahmt werden darf, weil man noch nicht genau weiss, was sich für Informationen darauf befinden, dann bitte ich Sie höflich, was folgt zu bedenken: Die Untersuchungsbehörden wissen auch nicht im Voraus,
– was sich auf einem zu beschlagnahmenden Video befindet
– was für Informationen sich im Buchhaltungsordner befinden
– was für Unterlagen sich in einem Tresorfach befinden etc.
… und trotzdem dürfen all diese Sachen beschlagnahmt werden.
@ Amateur
Ich empfehle jedem sich nicht auf den prozessualen Schutz in der Schweiz zu verlassen sondern seine Daten ordentlich Krypten lassen nebst Spiegel anzufertigen die dann ordentlich versteckt werden. Ich erlebte in Jahrzehnten das z.B.d die Schweizer Behörden wegen Verkehrsdelikten gezielt einen weiteren Tatverdacht suchten und sich die prozessualen Schutzmöglichkeiten als reine Show entpuppten.
Es gibt in der Schweiz noch nicht einmal eine feste Regel was ein ausreichender Tatverdacht ist wie in meinem Land wo es klar vordefinierte Regeln gibt für welche Zwangsmaßnahme welcher Tatverdacht nötig ist. Es werden jetzt sogar Algorithmen verwendet welche in Zukunft den Rechtschutz verbessern soll. Es ist es undenkbar das man wegen Verkehrsvergehen zbs. irgendwelche “Natels” beschlagnahmt zur Auswertung. Kein Richter – wir haben einen Richtervorbehalt – würde das zulassen. Soviel dann auch zur Verhältnismäßigkeit.