Von Schnüffelfantasien und kühnen Gesetzesauslegungen
Die SonntagsZeitung (zum kostenpflichtigen Artikel geht es hier) und heise online berichten heute über die Entwicklung von Spionage-Software durch eine Gesellschaft in Pfäffikon SZ, ERA IT SOLUTION AG.
Die Software soll als Trojaner vom Benutzer unbemerkt auf dessen Rechner ferninstalliert werden und in der Lage sein, das im Computer des Benutzers eingebaute Mikrofon einzuschalten. Damit sollen dann etwa die über Internet geführten Telefongespräche, die bisher als ziemlich abhörsicher galten, aufgezeichnet werden. Natürlich kann so auch alles andere in der Reichweite des Mikrofons aufgezeichnet werden. Die Aufzeichnungen werden sodann an einen Rechner übermittelt und dort gespeichert.
Nun, so revolutionär ist das ja alles nicht. Hacker und Internetkriminelle bedienen sich solcher Praktiken nicht erst, seit es diese merkwürdige Gesellschaft gibt, welche übrigens mit dem findigen Slogan „we secure you“ wirbt. Auch nicht neu ist, dass sich die Strafverfolger für die Software interessieren (vgl. NZZ am Sonntag vom 7.9.2003, kostenpflichtig). Gemäss dem Bericht der SonntagsZeitung hat die Arbeitsgruppe Organisierte Kriminalität der KSBS zu einer Vorstellung des Trojaners bei der Bundesanwaltschaft in Bern eingeladen haben, an der mehrere Bundesanwälte sowie Staatsanwälte, Untersuchungsrichter und Kantonspolizisten als mehr als einem Dutzend Kantonen teilgenommen haben.
Rechtlich ist klar, dass jedenfalls die Bundesstrafverfolger über keine rechtliche Grundlage zum Einsatz solcher Trojaner verfügen. Legal sind solche Methoden somit nicht möglich, jedenfalls dann nicht, wenn man das Legalitätsprinzip nicht wieder so auslegt, dass Staatsanwälte alles dürfen, was nicht ausdrücklich verboten ist (so können ja selbst „Vertrauenspersonen“ wie Ramos formell korrekt eingesetzt werden; vgl. meinen früheren Beitrag). Zu beachten ist hingegen, dass es in den kantonalen Strafprozessordnungen Vorschriften über die technische Überwachung gibt. Die Strafverfolger sind gemäss SonntagsZeitung der Meinung, über diese kantonalen Gesetzesgrundlagen könne VoIP legal überwacht werden.
Ich werde den Eindruck nicht los, dass hier der Gesetzgeber einmal mehr für blöd verkauft werden soll, aber der ist ja noch flexibler als unsere Justiz. Bestimmt wird bei nächster Gelegenheit eine wasserdichte gesetzliche – für die Gerichte verbindliche – Grundlage geschaffen.
Die einige kant. Prozessordnungen erlauben bei “analoger” Anwendung des BÜPF die Anwendung “anderer technischer Überwachungsmassnahmen”. So etwa Zürich und TG, wo solche Massnahmen der Bewilligung durch die Anklagekammer bedürfen.
Bei dieser Ausgestaltung sehe ich kein Problem. Es besteht ja – grundrechtstechnisch – kein Unterschied zur Telefonüberwachung bzw. zum Verwanzen der Wohnung. Ich hätte daher auch keine Mühe, *ohne* explizite Grundlage von der Zulässigkeit der Massnahme auszugehen, allerdings nur bei analoger Anwendung des BÜPF im Sinne einer teleologisch-zeitgemässen Auslegung der bestehenden gesetzlichen Grundlagen zur Telefonüberwachung.
Klar scheint mir, dass man solche Massnahmen nicht “einfach so” machen darf, aber es kann nicht sein, dass die rein technologische Verlagerung einer Tätigkeit wie telefonieren auf eine andere Ebene – etwa die übertragung via glasfaserkabel statt via kupferkabel, die eine technisch ausgereiftere Form des ‘Sich-Einklinkens’ verlangt – diese der Strafverfolgung schlechterdings entzieht. Nur eine wirklich neue Form des Eingriffs sollte auch neuer gesetzlicher Grundlagen bedürfen, alles andere schafft ohnehin nur eine Schein-Sicherheit vor staatlichen Eingriffen. Das ‘Verwanzen’ eines Computers bzw. das Abhören einer VoIP-Telefonverbindung, je nachdem wohin man diesen Trojaner eher ziehen will, ist das meines Erachtens – jedenfalls für viele kantonale Prozessordnungen – nicht. Alle anderen haben schon aus ganz anderen Gründen Handlungsbedarf.