Von wegen bedingte Entlassung

Vor einigen Jahren konnte jeder Strafgefangene fest davon ausgehen, dass er bei guter Führung entlassen wird, sobald er zwei Drittel seiner Strafe verbüsst hat (Art. 86 StGB). Heute ist diese bedingte Entlassung in vielen Kantonen die Ausnahme, weil die Legalprognosen immer kritischer gewürdigt werden. Ein Beispiel aus dem Kanton BL findet sich in einem aktuellen Entscheid des Bundesgerichts (BGer 6B_100/2020 vom 11.02.2021):

Diese Prognose wertet die Vorinstanz indessen als negativ (…). Sie führt dazu im Einzelnen Folgendes aus:  Die drei Vorstrafen in Italien, insbesondere die Verurteilung wegen sexueller Handlungen mit einer Person jünger als 14 Jahren, belasteten die Legalprognose, auch wenn diese länger zurücklägen. Daran ändere das Argument des Beschwerdeführers, er habe sich bis zu seinem 25. Lebensjahr und nach der letzten Vorstrafe während fünf Jahren wohl verhalten, nichts (…). Der Einwand des Beschwerdeführers, bei den Vorfällen in der Schweiz habe es sich um ein Beziehungsdelikt gehandelt und diese Beziehung sei beendet, sodass keine Rückfallgefahr mehr bestehe, sei zwar zutreffend. Auch der Gutachter erachte die Ausführungsgefahr zum Zeitpunkt des Gutachtens nach erfolgter Trennung als eher gering. Allerdings schätze er die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer in einer neuen Beziehung zu ähnlichen Verhaltensmustern greife, wie er sie gegenüber seiner ehemaligen Partnerin gezeigt habe, als gross ein. Diese grosse Wahrscheinlichkeit für ähnliche Delikte in einer neuen Beziehung falle negativ ins Gewicht, zumal sich die Delikte mitunter gegen Leib und Leben gerichtet hätten und somit selbst ein geringes Rückfallrisiko grundsätzlich nicht in Kauf genommen werden müsse (…). Des Weiteren sei dem Urteil des Strafgerichts vom 4. September 2019 zu entnehmen, der Beschwerdeführer habe zwar ein Teilgeständnis abgelegt, darin sei jedoch weder Einsicht in das Unrecht seiner Taten noch Reue zum Ausdruck gebracht worden. Auch dieser Umstand sei bei der Beurteilung der Legalprognose negativ zu werten. Zudem komme er seiner Verpflichtung zur Zahlung einer Parteientschädigung und Genugtuung an die geschädigte ehemalige Partnerin nicht nach. Es sei verständlich, dass er aufgrund seiner äusserst bescheidenen finanziellen Verhältnisse nicht dazu in der Lage sei. Jedoch habe der Beschwerdeführer auch keine Teilzahlung geleistet, was negativ zu werten sei (…). Die Ablehnung der Therapie durch den Beschwerdeführer könne im Rahmen der Beurteilung der Persönlichkeitsmerkmale des Täters negativ gewertet werden, auch wenn mit dem Strafgerichtsurteil keine Therapie angeordnet worden sei. Die Justizvollzugsanstalt habe ihm empfohlen, sich in eine ambulante Behandlung zu begeben. Dafür sei er aber nicht motiviert gewesen und habe nichts unternommen. Des Weiteren liessen seine Aussagen den Schluss zu, er sei der Meinung, keine Therapie zu benötigen. Seine Aussage, er werde eine solche nach der Entlassung in Italien machen, erscheine angesichts der übrigen Aussagen als wenig glaubhaft. Betreffend sprachliche Schwierigkeiten seien keine Versuche unternommen worden, die Therapie mit Hilfe eines Übersetzers oder eines mehrsprachigen Therapeuten durchzuführen (…). Aus dem Gutachten, dem Strafgerichtsurteil und der Empfehlung der Justizvollzugsanstalt gehe hervor, dass der Beschwerdeführer dazu neige, seine Suchtprobleme und die Schwere seiner Anlassdelikte eher klein zu reden. Auch seine Aussagen, er benötige keine Therapie, werde erst in Italien eine solche besuchen und er wisse nach seiner Entlassung dann schon, was er zu tun habe, liessen den Schluss zu, er habe zwar den innigen und wohl auch aufrichtigen Wunsch, betäubungsmittelfrei zu bleiben und nicht wieder zu delinquieren. Die nötige Einsicht in seine Persönlichkeitsstörungen und die Notwendigkeit der Behandlungsbedürftigkeit seiner risiko- und deliktsrelevanten Persönlichkeitseigenschaften resp. die Notwendigkeit einer nachhaltigen Verhaltensänderung für ein deliktfreies Leben liessen diese Aussagen jedoch missen. Es sei keine objektiv nachvollziehbare Auseinandersetzung sichtbar, die aufzeige, dass der Beschwerdeführer nicht nur den Wunsch habe, deliktfrei zu leben, sondern auch Reife in Bezug auf die Erkennung seines Problemprofils und Deliktsmechanismus und der Risikosituationen gewonnen, und das Wissen erarbeitet habe, wie er sich in diesen Lebenssituationen zu verhalten habe, um nicht in eine erneute Sucht und Delinquenz abzudriften. Die prognostisch zu berücksichtigenden Persönlichkeitsmerkmale fielen damit negativ ins Gewicht (…). Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer sich gut in der Justizvollzugsanstalt zurechtfinde und betäubungsmittel- und alkoholfrei lebe, sage nichts über seine Fähigkeit aus, in der Freiheit die Lebensschwierigkeiten zu bewältigen und insbesondere auf Betäubungsmittel und Alkohol zu verzichten. Zwar habe er gemäss Vollzugsbericht Respekt vor dem Wiedereintritt in ein Leben in Freiheit, aber dies sage nichts darüber aus, sich mit den eigenen Persönlichkeitseigenschaften auseinandergesetzt zu haben, um Risikosituationen zu meiden und in solchen ein anderes Verhalten an den Tag zu legen (…). Nach seiner Entlassung müsse der Beschwerdeführer nach Italien zurückkehren. Er könne bei Bekannten in U. wohnen und wolle eine Arbeit als Pizzaiolo suchen. Aufgrund der wirtschaftlichen Situation, vor allem in der durch die Massnahmen gegen die Covid-19 Pandemie geprägten Zeit, sei eine solche äusserst schwierig zu finden und erschienen die zu erwartenden wirtschaftlichen Lebensverhältnisse alles andere als gut. Nach Angaben des Beschwerdeführers wohnten dessen Bruder und Schwester in V. Somit fielen sie als unmittelbare Unterstützung in U. ausser Betracht. Die zu erwartenden Lebensverhältnisse könnten demzufolge nicht als stabil und gut bezeichnet werden (…). Der Beschwerdeführer werde infolge der Landesverweisung die Schweiz gezwungenermassen verlassen müssen und die Vollzugsbehörde könne deshalb im Falle einer bedingten Entlassung der Rückfallgefahr nicht mit den Instrumenten der Bewährungshilfe und Weisungen entgegenwirken. Des Weiteren ermögliche die Vollverbüssung der Strafe, dass der Beschwerdeführer bis zum 30. März 2021 Zeit habe, seine berufliche und soziale Zukunft besser zu planen und Vorkehrungen zu treffen, die ihm ein straffreies Leben nach seiner definitiven Entlassung ermöglichten. Überdies habe er bis dahin die Möglichkeit, sich mit seinen Delikten und seinen risiko- und deliktrelevanten Persönlichkeitseigenschaften auseinanderzusetzen. Aus diesen Gründen fielen die Legalprognose bei Vollverbüssung der Strafe besser und auch die Differenzialprognose zu Ungunsten des Beschwerdeführers aus (…) [E. 1.2].

Da hat man sich aber extrem viel Mühe und Zeit gegeben. Inzwischen steht der Beschwerdeführer unmittelbar vor der Vollverbüssung der Strafe und er hat das vergangene Jahr bestimmt genutzt, um sich mit seiner Persönlichkeit auseinanderzusetzen. Deshalb fiel die Differenzialprognose ja auch zu Ungunsten des Beschwerdeführers aus.