Voraussetzungen für DNA-Analysen
Das Bundesgericht kassiert in Fünferbesetzung einen Beschluss des Obergerichts ZH, welches die durch die Staatsanwaltschaft verfügte Erstellung eines DNA-Profils geschützt hat (BGer 1B_242/2020 vom 02.09.2020). Der Beschuldigte ist weder vorbestraft noch in seiner Persönlichkeit gestört. Die Anordnung erfolgte aufgrund eines Kontrollverlust bei der Tatbegehung, was bei den meisten Tatbegehungen zutreffen dürfte. Dem Bundesgericht war dies freilich zu wenig:
Vorliegend mangelt es indessen neben den fehlenden Vorstrafen auch an weiteren Anhaltspunkten, woraus sich konkrete Hinweise ableiten liessen, der Beschwerdeführer sei in der Vergangenheit in Delikte von einer gewissen Schwere involviert gewesen oder könnte es in der Zukunft sein. Solche wären jedoch erforderlich, damit eine DNA-Profilerstellung verhältnismässig wäre (vgl. E. 3.2 hiervor). Einzig die Tatsache, dass im aktuell gegen den Beschwerdeführer eröffneten Strafverfahren mit der versuchten schweren Körperverletzung ein Verbrechen zu beurteilen ist, vermag die Wahrscheinlichkeit für Delikte gewisser Schwere ebenso wenig zu begründen, wie die von der Staatsanwaltschaft vorgebrachte angeblich aussergewöhnliche, spezielle Impulsivität des Beschwerdeführers. Im Gegensatz zu dem in BGE 145 IV 263 beurteilten Beschwerdeführer (vgl. die nicht publ. E. 4.1 und E. 4.2 des Urteils 1B_17/2019 vom 24. April 2019), wurde vorliegend beim Beschwerdeführer keine Persönlichkeitsstörung ärztlich diagnostiziert, aufgrund welcher von einer krankhaften Impulsivität auszugehen wäre und angenommen werden müsste, der Beschwerdeführer habe sich generell nicht unter Kontrolle. Gegen eine solche Annahme sprechen vorliegend im Übrigen insbesondere auch die fehlenden Vorstrafen. Die Ausführungen der Staatsanwaltschaft bzw. der Vorinstanz, wonach der Beschwerdeführer eine aussergewöhnliche, spezielle Impulsivität aufweise und es anlässlich der Tatbegehung zu einem Kontrollverlust gekommen sei, welcher auf eine grundsätzliche, mangelnde emotionale Kontrolle schliessen liesse, beruhen mithin einzig auf der Wahrnehmung bzw. der Würdigung der Strafverfolgungsbehörden. Daraus bzw. aus dem einmaligen Vorfall kann aber nicht ohne Weiteres geschlossen werden, der Beschwerdeführer könnte in Zukunft in einer vergleichbaren Situation erneut so reagieren und schwere Delikte gegen die körperliche Integrität begehen (E. 4.1).
Beispielloser Täterschutz. Ohne Worte.
Endlich ein Entscheid, der (fast) alle glücklich macht:
– Die Justizdirektoren der Kantone haben eine simple Erklärung, weshalb die Aufklärungsquoten sinken
– Teile der Anwaltschaft kann kurzfristig zu Lasten des Staates mit unzähligen Beschwerden die Sommerferien 2021 finanzieren und sehen erst noch ihre politische Gesinnung von oberster Instanz bestätigt
– Die Beschwerdeinstanzen rechnen mittel- und langfristigfristig mit weniger Beschwerden, da bald keine DNA-Verfügungen mehr erlassen werden und es sowieso weniger Verfahren geben wird
– Der Steuerzahler freut sich, dass die Kosten von Strafverfolgung und Strafvollzug sinken, da keine Täter mehr überführt werden
– Die chronisch überlasteten Staatsanwaltschaften freuen sich, dass die Polizei endlich weniger DNA-Hits überweist und die “unbekannt”-Fälle im Archiv der Polizei bleiben
– Die beschuldigten Personen freuen sich, für ihre Taten nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Nur wenige sind unglücklich:
– Die motivierten polizeilichen Ermittler (wobei dies seit der neuen StPO und den weiteren Verschärfungen von Gesetzgeber und Bundesgericht eine verschwindend kleine Minderheit ist)
– Die Opfer von Straftaten, die nicht aufgeklärt werden können, weil den Ermittlern eines der wichtigsten Instrumente weggenommen wird. Aber wen interessieren schon die Opfer und Geschädigten? Die stören sowieso nur im Strafprozess…. und hat da jemand etwas von Rechtsfrieden gesagt? Wen interessiert denn das überhaupt noch?
Die stillschweigende Mehrheit des Volkes würde ungläubig und verständnislos den Kopf schütteln.. aber die erfahren das ja nicht
@herr schäfer: reine polemik. Das bg hat dargelegt, dass es keine anhaltspunkte für weitere vergangene oder künftige delikte gab. Das ist nun mal voraussetzung für ein dna profil und es soll nun mal keine routinemässige erfassung geben, was auch gut ist. Sie vergessen, dass staatliche strafverfolgung grenzen braucht. Das machen wir nicht für irgendwelche “täter”, sondern für UNS.
@DNA: Herr Schäfers Kommentar mag tatsächlich polemisch formuliert sein und dass es in der Strafverfolgung Grenzen braucht ist auch klar. Das Bundesgericht hat jedoch, noch vor nicht allzu langer Zeit, “eine gewisse Wahrscheinlichkeit” dafür “dass der Betroffene in andere – auch künftige – Verbrechen oder Vergehen verwickelt sein könnte, zu deren Aufklärung die Erstellung des DNA-Profils beitragen könnte” als ausreichender Grund für die Erstellung eines DNA-Profils gelten lassen. Zudem war und ist vom Gesetzgeber durchaus gewollt, dass DNA-Profile nicht nur zur Klärung der Anlasstat dienen sollen. Die Praxisänderung des Bundesgerichts, die sich auch im vorliegenden Entscheid wieder manifestiert, hat also tatsächlich primär mit “Täterschutz” zu tun. Für die Strafverfolgung ist diese Praxis, insbesondere wenn der Terminus “konkrete Hinweise” immer enger ausgelegt wird, tatsächlich sehr negativ. Immerhin wurde schon mehr als eine schwere Straftat durch ein DNA-Profil geklärt, welches aufgrund einer relativ “leichten” Anlasstat erstellt wurde. Ich stelle mir bei solchen Voten immer die zugegeben polemische Frage: Gibt es ein Recht darauf unerkannt zu delinquieren?
@herr strafverfolger. Das bg ist, soweit ersichtlich, nicht von dem abgewichen, was Sie schildern. Und so wie Sie hier schreiben, sind Sie faktisch gerade nicht für grenzen in der strafverfolgung. Zu Ihrer frage: man hat anspruch auf privatsphäre und darauf, dass der staat nicht alles von einem weiss. Dies beinhaltet zu einem gewissen grad auch deliktisches verhalten, das nicht erkannt wird. Insofern ja selbstverständlich, es gibt ein recht auf unerkanntes delinquieren. Das gegenteil wäre ein totalitärer “idealstaat” in dem alles und jeder konform ist.
@Herr DNA: Nun werden Sie polemisch, in dem Sie die Totalitarismuskeule auspacken und mir unterstellen, ich rede einer grenzenlosen Strafverfolgung das Wort. Ich bin tatsächlich für klare Grenzen der Strafverfolgung. Meiner bescheidenen Meinung nach sollte aber trotzdem die “Wahrheitsfindung” und Täterermittlung im Zentrum der Strafverfolgung stehen und nicht der formelle Prozess an sich. Hier hat sich m.E. in den letzten Jahren das Schwergewicht in eine ungute Richtung verschoben. Darüber könnte man letztlich aber seitenweise philosophieren.
Was den vorliegenden Entscheid anbelangt, so bestätigt er eine Rechtsprechung die gegenüber der Situation bis 2016 eben sehr wohl eine Praxisänderung bedeutet. Diese hat sich in den letzten Jahren bereits gravierend auf die DNA-Profilerstellung, damit auf die Anzahl Profile auf der Datenbank und damit letztlich auf die Aufklärungswahrscheinlichkeit ausgewirkt. Dies kann m.E. eben nicht im Interesse der Gesellschaft sein.
@herr strafverfolger. Mit keulen habe ich nichts am hut, auch wenn das beispiel zugespitzt erscheinen mag. Ich störe mich einfach etwas daran, dass Sie die “wahrheitsfindung” hier glorifizieren und von einem prozess, der formellen regeln folgt, schon fast despektierlich sprechen. So als ob ein solcher der wahrheitsfindung notwendigerweise entgegensteht. Haben Sie sich schon mal gefragt, was es mit misshits auf sich hat? Sie werden jetzt sicher sagen, dass das dann schon geklärt werden kann. Bis es aber soweit ist, kann schon einiges an schaden angerichtet sein. Dass bei dna profilen etwas die grenzen aufgezeigt werden, ist vielleicht nicht schlecht, zumal die voraussetzungen immer noch genügend grosszügig sind.
“… zumal die voraussetzungen immer noch genügend grosszügig sind.”
sind wir ehrlich: die bundesgerichtliche Rechtsprechung, dass eine DNA-Probe unter bestimmten Umständen bei Hinweisen hinsichtlich zukünftiger Straftaten abgenommen werden kann, ist eigentlich schon “ultra-grosszügig”, da sie den gesetzlichen Grundlagen StPO und DNA-Profil-Gesetz eigentlich nicht oder nur sehr mittelbar in extensiver Auslegung entnommen werden kann.
@aj: Wird nicht jede Speicherung von erkennungsdienstlichen Daten auf einer Datenbank per se im Hinblick auf mögliche zukünftige Straftaten vorgenommen? Und ist nicht jedes Durchforsten einer Datenbank nach einem Hit zu einer Spur nicht eigentlich Fishing?
@ herr strafverfolger. Und genau deshalb, sollten nicht allzu exzessiv profile erstellt werden…
Das DNA-Profil-Gesetz sagt, dass dieses Gesetz u.a. die Verwendung von DNA-Profilen “in Strafverfahren” regle. Die StPO sagt, dass “zur Aufklärung” einer Straftat, eine Probe genommen werden dürfe. Ganz grundsätzlich dürfen Zwangsmassnahmen der StPO ja nur bei vorliegen eines Tatverdachts (bezüglich einer begangenen sprich vergangenen Straftat) angewendet werden. Also aus dem Gesetzeswortlaut und der Systematik kann ich daher keine Ermächtigung für die Abnahme bezüglich künftiger Straftaten herauslesen… aber natürlich kann man – eben in m.E. extensiver Auslegung – sagen, dass die Aufbewahrungsfristen gemäss DNA-Profil-Gesetz keinen Sinn machen würden, wenn man die Probe nicht auch hinsichtlich künftiger Verbrechen abnehmen dürfte.