Vorbefasster Gutachter

Wer sich als Sachverständiger zum Ablauf eines Unfallgeschehens geäussert hat, kann anschliessend nicht als Experte für die Analyse des Hergangs beauftragt werden.

Gemäss Bundesgericht liegt in einer solchen Konstellation eine unzulässige Vorbefassung vor (BGer 1B_196/2015 vom 17.05.2016, Fünferbesetzung):

Will die Staatsanwaltschaft in einer ersten Phase einen sachverständigen Vorbericht zu einem Unfallgeschehen bzw. ein Kurzgutachten erstellen lassen, was durchaus zweckdienlich und ökonomisch sein kann, so muss sie demnach die beigezogenen sachverständigen Personen bereits in dieser Phase nach den Vorschriften der Art. 182 ff. StPO beauftragen, wenn ihnen oder einem von ihnen später die Ausarbeitung eines weiterführenden Gutachtens über dasselbe Geschehen übertragen werden soll. Es steht nichts entgegen, einen ordnungsgemäss bestellten Experten über den gleichen Sachverhalt mehrmals als Gutachter zu befragen bzw. auch für ergänzende oder vertiefende Arbeiten als Sachverständigen beizuziehen. Er gilt nach einer ersten Äusserung als Experte, wie in einem Kurz- oder Vorabgutachten (z.B. über die Gefährlichkeit eines Beschuldigten), nicht als vorbefasst i.S.v. Art. 56 lit. b StPO (…), ebenso wenig wie im Allgemeinen der Richter, der im Laufe eines Verfahrens vor dem instanzabschliessenden Entscheid Verfahrenshandlungen vorgenommen hat und Vor- bzw. Zwischenentscheide gefällt hat (BGE 131 I 113 E. 3.5 S. 117 ff.). Indessen lassen die Vorschriften über den Ausstand nicht zu, eine über besonderes Fachwissen verfügende Person im Rahmen einer Strafuntersuchung betreffend ein Unfallgeschehen konkret zum Ablauf Stellung beziehen zu lassen und sie hernach als Experten für die Analyse des Hergangs zu ernennen. Ein solches Vorgehen kann bei den Beteiligten den Anschein erwecken, der Experte sei im Zeitpunkt seiner Ernennung nicht mehr frei, von seiner zuvor in anderer Stellung geäusserten Auffassung abzurücken bzw. nicht mehr unvoreingenommen (E. 4.4.4, Hervorhebungen durch mich).