“Vorkommnisse am Bundesstrafgericht”
Die Verwaltungskommission des Bundesgerichts hat gestern seinen Bericht vom 5. April 2020 veröffentlicht, den sie in einem aufsichtsrechtlichen Verfahren betreffend “Vorkommnisse am Bundesstrafgericht” verfasst hat.
Wer oder was den Bericht genau veranlasst hat, habe ich dem Bericht nicht entnehmen können und viele der untersuchten “Problemfelder” scheinen eher keine zu sein. Und trotzdem wird man den Eindruck nicht los, dass in Bellinzona wenig so ist, wie man es von einem Gericht erwarten dürfte.
Sachlich unhaltbar erscheint mir auch die Zuständigkeit der VK BGer. Was genau soll Bundesrichter qualifizieren, solche Verfahren gegen Kollegen zu führen? Das ganze Verfahren liefert eigentlich nur Gründe dafür, die unglückliche Organisation des ganzen Bundesstrafrechtsapparats grundlegend zu überdenken.
Sie fragen, wer oder was den Bericht veranlasst habe. Nun, in der Zusammenfassung wird ausgeführt, man habe sich „Problemfeldern“ zugewendet, „die zuvor von der Presse aufgegriffen worden waren“. Im Bericht selber (S. 13) ist von „in der Presse thematisierten Problemfeldern“ die Rede. In der heutigen online-Ausgabe der az rühmt sich ein gewisser Henry Habegger, Bundeshausjournalist der az, er habe in einem Artikel vom 17.12.2019 (offenbar gestützt auf anonyme Insider-Informationen) allerlei „Missstände“ am BStGer „aufgedeckt“. In der Tat enthält der Artikel massive Verdächtigungen und Mutmassungen: Mobbing (insbesondere gegen Tessiner), Sexismus, Liebschaften, illegale Spesenbezüge, Richter mit Wohnsitz im Ausland, Richter mit unerlaubten Nebenbeschäftigungen, Unregelmässigkeiten bezüglich Überstunden/Pensenerhöhungen/Arbeitszeiten/Arbeitseinsatz usw. Weiter rühmt sich Habegger:“
Der Artikel löste ein aufsichtsrechtliches Verfahren aus – gefordert durch die Geschäftsprüfungskommission des Bundesparlamentes …“ Nun wissen wir es also: Nicht etwa Vorstösse von betroffenen Personen aus dem Gericht selber, sondern ein reisserischer Artikel eines Sensationsjournalisten (Studienabbrecher, 16 Jahre beim BLICK, dann fristlos entlassen und bei der az untergekommen) reicht aus, um die Verwaltungskommission des BGer in Trab zu versetzen; schon etwas speziell. Im übrigen bin ich auch der Auffassung, dass die Verwaltungskommission gar nicht zuständig gewesen wäre ….
…gemäss Gesetz war die Verwaltungskommission zuständig (Art. 17 Abs. 4 lit. g BGG).
Ich stimme Ihnen (und den übrigen Kommentatoren) aber zu, dass zumindest für eigentliche Untersuchungen die Verwaltungskommission wahrscheinlich nicht die geeignete Wahl ist. Soweit es im Rahmen der Aufsicht darum geht, den ordentlichen Geschäftsgang an den erstinstanzlichen Gerichten des Bundes zu beaufsichtigen, scheint mir die Aufsicht durch das Verwaltungsgericht ein geeignetes Mittel zu sein. Für weitergehende Untersuchungen wäre aber zu überlegen, ob diese nicht durch eine PUK bestehend aus Richtern, Staatsanwälten und Anwälten (analog der AB-BA) vorgenommen werden sollte.
Welche institution innerhalb des bg zuständig ist, ob die vk oder sonst ein gremium (präsidentenkonferenz oder was auch immer), weiss ich nicht. Ansonsten sehe ich nicht, warum ein höchstes (bundes)gericht nicht die aufsicht über ein unteres (bundes) gericht sollte ausüben können. Das ist in vielen kantonen so auch üblich. Die obergerichte üben die aufsicht über die bezirksgerichte aus. Das hat unter dem aspekt der richterlichen unabhängigkeit auch seinen sinn. Wer soll sonst die aufsicht ausüben? Die regierung? Das parlament? Nein, ich habs! Der schweizerische anwaltsverband, so kann man es den gerichten mal so richtig heimzahlen.
@Aufsicht: Das ist jetzt aber einfach. Nach praktisch jedem Entscheid eines Gerichts gibt es ein Mitglied des Anwaltsverbands, das die Arbeit des Gerichts hervorragend fand. In den Beurteilungen der Anwaltsverbände schliessen die Gerichte, die sich beurteilen lassen (zB Solothurn), auch immer sehr gut ab. Wenn ich es entscheiden könnte, wäre es das Parlament bzw. die Gerichtskommission, die – bei einer entsprechenden Anzeige und nicht nach einem Zeitungsartikel – eine Untersuchung anordnet. Untersuchungsorgan müsste eine Gremium sein, welches die GK einsetzt. In diesem Gremium wären Leute, die wissen, wie man solche Untersuchungen führt. Das können Richter, Anwälte, Staatsanwälte, Wirtschaftsprüfer oder andere sein, welche das Vertrauen des Parlaments geniessen.
Ja, genau, die gerichtskommission, ein durch und durch politisches gremium, würde natürlich nur auf formelle anzeige hin tätig und nicht wegen presseberichten. Im neverland-fantasialand wäre das vielleicht so. Im polit- und medienbetrieb der schweiz wohl kaum. Aber abgesehen davon ist es, wie gesagt, ein gebot der richterlichen unabhängigkeit und der gewaltentrennung, dass die gerichte erstmal selber dafür sorgen, dass ihre angelegenheiten in ordnung kommen. Erst wenn sie selber dazu nicht in der lage sind, soll eine andere staatsgewalt zum zug kommen. Das scheint mir auch unabhängig von rechtlichen überlegungen sinnvoll zu sein. Wenn Sie in Ihrer anwaltskanzlei ein gstürm haben, versuchen Sie es auch zuerst selber zu lösen. Erst wenn das nicht geht, schauen Sie weiter. Was die kompetenz zur abklärung betrifft, sehe ich nicht, wo in der konkreten untersuchung ein mangel vorgelegen hätte. Dass die entsprechenden gesetzlichen grundlagen eine delegation oder beauftragung von externen untersuchern ermöglichen sollte, falls das bestehende aufsichtsgremium selber die handlungen nicht vornehmen kann, würde ich im übrigen auch befürworten. Aber auch hier gälte: zuerst selber, dann delegation.
(92): “Am Bundesgericht wäre eine Generalsekretärin, ein Generalsekretär ihres Schlages undenkbar.” Wenn ein Satz alles sagt.
@strafrechtinteressierter. In der tat. Unverständlich und deplatziert hingegen die äusserung unter ziff. 64, wonach der umstand von teilpensen das seine zum generalverdacht des schlendrians beigetragen habe. Wie soll man das verstehen? Teilzeitarbeit fördert den eindruck von schlendrian? Sollte das so gemeint sein, wäre dies ein affront für alle teilzeitarbeitenden und schlichtweg falsch. Es ist eine frage der tranparenten kommunikation über die teilzeitarbeit bzw. Präsenz am arbeitsort, ob der eindruck des schlendrians entsteht, und NICHT der umstand, dass teilzeit gearbeitet wird. Bedauerlich, dass man das so in einem bericht lesen muss oder verstehe ich etwas falsch?
Mein Zitat war wohl missverständlich. Es sollte eigentlich zum Ausdruck bringen, dass derartige “Vergleiche” (ala “Bei uns gäbe es so etwas nicht…”) in einem aufsichtsrechtlichen Verfahren nichts, aber auch gar nichts zu suchen haben.