Vorratsdatenspeicherung zurückgebunden
Das Bundesverfassungsgericht hat einem Eilantrag teilweise stattgegeben, der §§ 113a, 113b TKG im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde außer Kraft setzen wollte (1 BvR 256/08 vom 11.03.2008).
Aus der Pressemitteilung:
Aufgrund eines Abrufersuchens einer Strafverfolgungsbehörde hat der Anbieter von Telekommunikationsdiensten die verlangten Daten zwar zu erheben und zu speichern. Sie sind jedoch nur dann an die Strafverfolgungsbehörde zu übermitteln, wenn Gegenstand des Ermittlungsverfahrens eine schwere Straftat im Sinne des § 100a Abs. 2 StPO ist, die auch im Einzelfall schwer wiegt, der Verdacht durch bestimmte Tatsachen begründet ist und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre (§ 100a Abs. 1 StPO). In den übrigen Fällen ist von einer Übermittlung der Daten einstweilen abzusehen. Zugleich wurde der Bundesregierung aufgegeben, dem Bundesverfassungsgericht zum 1. September 2008 über die praktischen Auswirkungen der Datenspeicherungen und der vorliegenden einstweiligen Anordnung zu berichten. Im Übrigen lehnte der Erste Senat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab; insbesondere lehnte er die Aussetzung des Vollzugs von § 113a TKG, der allein die Speicherungspflicht für Daten regelt, ab.
Die fraglichen Bestimmungen des deutschen Rechts wurden in Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG erlassen, gegen die Irland eine Nichtkgkeitsklage vor dem EuGH führt (Rs. C-301/06). Dem stand der Beschluss des Verfassungsrichter allerdings nicht entgegen:
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1. Zweifel an der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde ergeben sich allerdings zum Teil daraus, dass diese auch gegen Regelungen gerichtet ist, durch die zwingende Vorgaben der Richtlinie 2006/24/EG umgesetzt werden. Dies führt jedoch nicht dazu, dass die Verfassungsbeschwerde insgesamt von vornherein als unzulässig anzusehen wäre.
b) Zudem kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass der Europäische Gerichtshof die Richtlinie 2006/24/EG aufgrund der anhängigen Nichtigkeitsklage der Republik Irland (Rs. C-301/06) wegen der Inanspruchnahme eines nicht tragfähigen Kompetenztitels für nichtig erklären wird. Diese Klage erscheint angesichts der Erwägungen, mit denen die Klägerin die Kompetenzwidrigkeit der Richtlinie begründet, zumindest nicht von vornherein aussichtslos (vgl. dazu ferner Alvaro, DANA 2006, S. 52 <53 f.>; Gitter/Schnabel, MMR 2007, S. 411 <412 f.>; Leutheusser-Schnarrenberger, ZRP 2007, S. 9 <11 ff.>; Westphal, EuZW 2006, S. 555 <557 ff.>; Zöller, GA 2007, S. 393 <407 ff.>). Sollte der Antrag der Republik Irland Erfolg haben, wäre Raum für eine umfassende Prüfung der angegriffenen Normen durch das Bundesverfassungsgericht am Maßstab der deutschen Grundrechte (vgl. BVerfGE 118, 79 <97 f.>).
a) Über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht, das als Rechtsgrundlage von deutschen Gerichten und Behörden im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommen wird, übt das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit nicht mehr aus, solange die Europäischen Gemeinschaften einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist (vgl. BVerfGE 73, 339 <387>; 102, 147 <162 ff.>). Dementsprechend wird eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, die eine Richtlinie in deutsches Recht umsetzt, insoweit nicht an den Grundrechten des Grundgesetzes gemessen, als das Gemeinschaftsrecht keinen Umsetzungsspielraum lässt, sondern zwingende Vorgaben macht (vgl. BVerfGE 118, 79 <95 ff.>). Hingegen kann eine Norm des deutschen Rechts, durch die der Gesetzgeber die Vorgaben einer Richtlinie in eigener Regelungskompetenz konkretisiert hat oder über solche Vorgaben hinausgegangen ist, zulässigerweise mit einer Verfassungsbeschwerde angegriffen werden.
Inwieweit die Verfassungsbeschwerde sich nach diesen Maßgaben als zulässig erweist, muss hier nicht abschließend entschieden werden. Sie ist jedenfalls nicht insgesamt von vornherein unzulässig. Die von den Beschwerdeführern angegriffenen Normen erschöpfen sich nicht darin, zwingende gemeinschaftsrechtliche Vorgaben umzusetzen. Zum einen belässt die Richtlinie 2006/24/EG den Mitgliedstaaten Regelungsspielräume, etwa bei der Bestimmung der Straftaten, zu deren Verfolgung der bevorratete Datenbestand genutzt werden darf. Zum anderen gehen die §§ 113a, 113b TKG zumindest in Teilbereichen über die in der Richtlinie enthaltenen zwingenden Vorgaben hinaus. So ermöglicht § 113b Satz 1 Nr. 2 und 3 TKG einen Datenabruf nicht nur zur Strafverfolgung, sondern auch zur Gefahrenabwehr und zur Erfüllung sicherheitsbehördlicher Aufgaben. Auch dürften die in § 113a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 6 TKG enthaltenen Verpflichtungen zur Datenspeicherung über die durch Art. 3 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 Richtlinie 2006/24/EG vorgegebenen Speicherungspflichten hinausreichen.