Wachsende Skepsis gegenüber dem abgekürzten Verfahren
Erneut wird eine Anklageschrift im abgekürzten Verfahren an die Bundesanwaltschaft zurückgewiesen (vgl. dazu schon meinen früheren Beitrag). Im aktuellen Fall genügte die Anklageschrift weder formell noch materiell (BStGer SK.2013.34 vom 02.10.2013). In formeller Hinsicht hat der Einzelrichter der Strafkammer des Bundesstrafgerichts die fehlende Transparenz bemängelt.
Rechtmässigkeit des Verfahrens und Erfüllung der Dokumentationspflicht war nicht überprüfbar:
In den Akten ist nicht dokumentiert, was sich zwischen der Übermittlung des ersten Anklageentwurfs durch die Bundesanwaltschaft vom 6. September 2013 und der zweiten Übermittlung vom 10. September 2013 abgespielt hat. Auffällig ist die Verschärfung der Sanktionen in der definitiven Anklage gegenüber dem ersten Entwurf. Zudem ist nicht dokumentiert, wie die Fassung lautete, welche die Bundesanwaltschaft am 10. September 2013 an die Verteidigung überwiesen hat und welche vom Beschuldigten genehmigt wurde, auch wenn zu vermuten ist, dass sie mit der schlussendlich beim Gericht eingereichten identisch ist. Die gerichtliche Überprüfung der Vorgänge beim Zustandekommen der Anklageschrift im abgekürzten Verfahren ist somit nicht in ausreichendem Mass möglich (E. 2.3).
Materiell fehlte es an einer hinreichenden Umschreibung des Sachverhalts, die zur Prüfung der Tatbestandsmässigkeit unerlässlich ist:
Es macht sich des Betrugs i.S.v. Art. 146 Abs. 1 StGB schuldig, wer in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt oder ihn in einem Irrtum arglistig bestärkt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selbst oder einen andern am Vermögen schädigt. Demnach ist die Bezeichnung des Getäuschten und dessen Tatbeitrag für die Beurteilung der Frage, ob der Anklagesachverhalt den Tatbestand des Betrugs erfüllt, unerlässlich (E. 4).
Die vorliegende Anklageschrift enthält teilweise keine konkreten Angaben über die genauen Zahlungsabläufe, d.h. darüber, wer letztendlich die Zahlungen ausgelöst hat. War es der Beschuldigte selbst oder eine (welche) getäuschte Drittperson? Ist die Frage nach einer Beteiligung von (getäuschten) Drittpersonen für alle drei Vorgehensvarianten gleich zu beantworten? (E. 4.1).
Wer nun glaubt, die BA könne nun einfach die Mängel korrigieren, könnte sich irren, zumal sich das Bundesstrafgericht in einer weiteren Erwägung vorbehält, eine neuerliche Anklage aus anderen Gründen nicht zu genehmigen:
Die summarische Durchsicht der Akten lässt nämlich darauf schliessen, dass die Voruntersuchung abgeschlossen und der Beschuldigte umfassend geständig war, als die Bundesanwaltschaft gemäss Art. 359 Abs. 1 StPO über die Durchführung des abgekürzten Verfahrens entschied. Es erschliesst sich prima vista nicht, wie mit der gewählten Verfahrensart der Komplexität des Verfahrens die Stirn geboten oder umfangreiche Beweiserhebungen vermieden werden konnten (SCHWARZENEGGER, a.a.O. Art. 358 StPO N 3) [E. 5].
An dieser Beurteilung wird sich kaum noch etwas ändern können. Der Ankläger wird anklagen müssen.
Ich frage mich allmählich, ob das Bundesstrafgericht das Institut wirklich verstanden hat.
Verstanden oder nicht verstanden. Wichtig ist letztlich nur, dass die Justiz in den seltenen Fällen, in denen sie im Strafrecht noch gefragt ist, das Heft in der Hand behält.
Das wäre in der Tat zu begrüssen, im Sinne einer schlüssigen und nachvollziehbaren Praxis zu den Voraussetzungen und Modalitäten des abgekürzten Verfahrens. Das ‘Heft in die Hand zu nehmen’ ist aber keine Einladung zur Willkür. Die Ausführungen zur Aufwandersparnis etwa muten recht bizarr an. Ich hatte an sich gedacht es sei recht klar, was mit “angemessen” gemeint ist, das BStGer will aber offenbar gleich noch den ‘Business Case’ – im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit – prüfen. Diese Wahrnehmung, vor allem aber die Argumentation dazu, steht schon im Konflikt mit der Tatsache, dass das abgekürzte Verfahren “bis zur Anklageerhebung” beantragt werden kann.
Aber abgesehen davon umfasst der ‘Business Case’ eben auch Beweis- und Subsumtionsrisiko, Strafzumessungsrisiken und Rechtsmittelrisiken sowie deren hypothetisch verursachter Aufwand. So gesehen – selbst wenn man “Angemessenheit” so verstehen möchte wie das Bundesstrafgericht – gibt es gar nie einen Fall, wo ein ohne Beweisverfahren unmittelbar rechtskräftiges Urteil nicht ökonomischer als ein ordentliches Verfahren ist, und zwar für alle Parteien.
Dass dies für das Gericht nicht nur nicht offensichtlich ist, sondern auch noch als Verfahrensmangel des Vorverfahrens dargestellt wird, ist schon ein starkes Stück.
Abgesehen davon, die bemängelte ‘Geheimniskrämerei’ scheint mir primär ein Anliegen der Verteidigung zu sein. Gerichte sind klein, und keiner will auch nur vorübergehend ein Memo bei den Akten, wo er die Angemessenheit einer höheren Bestrafung seines Mandanten anerkennt oder zu gunsten des Betrugstatbestands argumentiert. – Auch wenn im ordentlichen Verfahren nachher andere Richter Sitzen (wofür man ja nichtmal Gewähr hätte), von Haftungsklagen ganz zu schweigen.
Meines Erachtens wären diesbezügliche (entscheidrelevante…?) Erkenntnislücken allenfalls im Gespäch mit den Parteivertretern zu klären. Eine Dokumentation dieser Vorgänge zum essenziellen Aktenbestandteil zu erklären erscheint mir jedenfalls weit problematischer als ihr Fehlen.
Aber letztlich kann man wohl auch nicht allzuviel in diesen Entscheid hineininterpretieren. Es sieht mir mehr nach dem alten BA/BStGer Kleinkrieg aus als nach wegweisender Rechtsprechung. – Schade publizieren andere erstinstanzliche Gerichte nicht im gleichen Umfang. Etwas Inflation täte diesen Entscheiden gut.
Und mit ‘Inflation’ meine ich natürlich ‘Diversität’.
[Off Topic]
Könnten Sie mal die Links unter “Publikationen / Vorträge” aktualisieren. Spezifisch “Eine wirksame Verteidigung konzentriert sich auf das Vorverfahren” und “Staatsschützer stellen den Rechtsstaat in Frage”.
Herzlichen Dank.
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Danke für den Hinweis. Habe die Links auf “plädoyer” entfernt, zumal der Zugang nicht frei ist.
Das Bundesstrafgericht hat das Institut durchaus richtig verstanden. Fraglich ist vielmehr, ob die Bundesanwaltschaft (und andere Staatsanwaltschaften) das Institut gemäss den Intentionen des Gesetzgebers einsetzt. In der Praxis ist ein verbreiteter “Missbrauch” dahingehend zu beobachten, dass die Staatsanwaltschaften regelmässig auch vollumfänglich geständige Beschuldigte im abgekürzten Verfahren anklagen (wohl um ihrer Präsenz-/Plädierpflicht zu entgehen), d.h. das abgekürzte Verfahren wird als eine Art “erweiterter Strafbefehl” verstanden. Die Verteidigung und der Beschuldigte, der sich so – ohne prozessuale Risiken einzugehen – einen verbindlichen Straf-“Rabatt” aushandeln kann, haben dagegen natürlich nichts einzuwenden…
@RA: Immerhin muss der Antrag dazu vom – notwendig – verteidigten Beschuldigten ausgehen. Wie Sie bei dieser Ausgangslage zu einem “Erweiterten Strafbefehl” kommen ist mir nicht ersichtlich. Der vollumfänglich geständige Beschuldigte ist geradezu eine Kernidee des Verfahrens. Die Abkürzung liegt darin, dass man auf dieses Geständnis abstellt, ohne es mit weiteren Untersuchungen gegen einen Widerruf oder spätere Einwendungen abzusichern. Das ist aber kein Missbrauch, das ist die eigentliche Idee, oder wie sie sagen, die Intention des Gesetzgebers.
Ein “Missbrauch” ist allenfalls in den Fällen zu sehen, wo noch vor einem eigentlichen Geständnis besprochen wird, was dann allenfalls dessen Inhalt sein werde und mit welchen Konsequenzen der Beschuldigte in diesem Fall als Entgegenkommen für seinen Verzicht auf das Recht auf Aussageverweigerung zu rechnen hätte. Aber Ausgangspunkt hierfür ist meistens die Verteidigung. und meines Erachtens ist auch dies noch durchaus von der Intention des Gesetzgebers gedeckt.
Jedenfalls unter der Prämisse, dass das dann folgende Geständnis der materiellen Wahrheit entspricht, was selbstverständlich immer der Fall ist.
Wenn Sie die Botschaft zur StPO lesen, werden Sie – wie das Bundesstrafgericht, zu welchem ich nebenbei in keiner Beziehung stehe – feststellen, dass der Gesetzgeber das abgekürzte Verfahren für weitläufige, komplexe Verfahren vorgesehen hatte, bei denen eine Verurteilung aufgrund der Beweislage unsicher ist bzw. die notwendigen Untersuchungshandlungen in keinem Verhältnis zum “Ertrag” stehen würden. Für solche Fälle wollte der Gesetzgeber aus Gründen der Verfahrensökonomie das abgekürzte Verfahren trotz rechtsstaatlicher Bedenken ermöglichen. Wenn der Beschuldigte nun aber von Anfang geständig oder durch die klare Beweislage nach der Untersuchung überführt ist, gibt es für die Inkaufnahme solcher (massiver) rechtsstaatlicher Einbussen, wie sie das abgekürzte Verfahren mit sich bringt, keinen Grund und der “Sinn” eines abgekürzten Verfahrens kann in solchen Fällen nur noch darin bestehen, (auch) die rechtliche Würdigung und das Strafmass der richterlichen Kontrolle zu entziehen (wie beim Strafbefehl, mit dem die Staatsanwaltschaften bereits heute über 90 % aller Strafverfahren erledigen). Das erscheint rechtsstaatlich doch mehr als bedenklich, zumal es im abgekürzten Verfahren um Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren gehen kann. Zu Recht wehrt sich das Bundesstrafgericht deshalb gegen diese Marginalisierung der Justiz, die – noch einmal – vom Gesetzgeber so nicht gewollt war.
Das abgekürzte Verfahren wäre dann sinnvoll, wenn die StA und die Verteidigung “auf Augenhöhe” verhandeln könnten. Dies ist m.E. allermeist nicht der Fall: Der Beschuldigte (meist in U-Haft, welche in der CH ja bekanntlich sehr grosszügig verhängt und gerichtlich abgesegnet wird) hat die Wahl, das ordentliche Verfahren inhaftiert abzuwarten – und das kann lange dauern – oder über das abgekürzte Verfahren schneller zu wissen, woran er ist.
Die StA erspart sich Arbeit und die Verteidigung ist in einem Dilemma. Ich glaube deshalb, dass das abgekürzte Verfahren tendenziell zu einem höheren Strafmass führt. Jedenfalls kann nicht die Rede davon sein, mit dem abgekürzten Verfahren entgehe der Beschuldigten seiner “gerechten Strafe”.
Danke für die angeregte Diskussion und die wertvollen Hinweise. Der Gesetzgeber hat die Willkür zum Programm gemacht, denn sonst hätte er klare Regeln eingeführt und die Beteiligten nicht von jeder Begründungspflicht entbunden. Alle Beteiligten können machen was sie wollen und müssen keine Rechenschaft ablegen. Die Verteidigung kann das abgekürzte Verfahren ausschliessen, indem sie es nicht beantragt; die Staatsanwaltschaft kann es ablehnen, genau wie die Privatkläger; und der Richter kann nach getaner Arbeit die Genehmigung verweigern. Jeder nach seinem Gusto oder eben: willkürlich.