Was ist ein Einbruchsdelikt?
Art. 121 Abs. 3 lit. a BV sieht den Verlust aller Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz vor, wenn der Ausländer rechtskräftig wegen eines Einbruchdelikts verurteilt wurde. Das Bundesgericht hatte nun zu prüfen, ob auch der Diebstahl aus einem Laden, den man nicht betreten darf (privatrechtiches Hausverbot, also Hausfriedensbruch und Diebstahl) als Einbruchsdelikt zu verstehen sei (BGE 6B_1221/2018 vom 27.09.2019, Publikation in der AS vorgesehen).
Die höchstrichterliche Antwort ist trotz Art. 66 Abs. 1 lit. d StGB nein:
Der Deliktskatalog enthält die schwersten Straftaten, aber auch solche, die im Einzellfall Bagatellen darstellen können (STEFAN HEIMGARTNER, in: Andreas Donatsch et al., StGB/JStG, 20. Aufl. 2018, N. 4 zu Art. 66a StGB), sodass eine systematische Auslegung des Art. 66a Abs. 1 StGB nicht weiter führt. Nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip ist nicht anzunehmen, dass ein Ladendiebstahl unter schlichter Verletzung eines (hier soweit ersichtlich privatrechtlichen) Hausverbots in einem dem Publikum offenstehenden Verkaufsgeschäft zu einer obligatorischen Landesverweisung führt. Massgebend ist der Wortlaut der BV. Mit der Erstinstanz und der Literatur ist Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB im Sinne der BV tatsächlich als Einschleich- oder Einbruchdiebstahl auszulegen. Der gemeinübliche Ladendiebstahl in Verbindung mit Hausfriedensbruch (der bei Verletzung eines Hausverbots in einem Kaufhaus vorliegt) ist nicht unter Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB zu subsumieren (BRUN/FABRI, a.a.O., S. 236).
Diese restriktive Interpretation von Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB stützt sich auf die wortlautkonforme Auslegung des in Art. 121 Abs. 3 lit. a BV verwendeten Begriffs des “Einbruchsdelikts” und schliesst einzig den schlichten Ladendiebstahl unter Verletzung eines Hausverbots in einem Kaufhaus vom Anwendungsbereich des Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB aus (E. 1.5.3, Hervorhebungen durch mich).
Im Gesetz (Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB) steht übrigens “Diebstahl (Art. 139) in Verbindung mit Hausfriedensbruch (Art. 186)”, aber das ist gemäss Bundesgericht nicht massgebend. Ich werde mich bei nächster Gelegenheit gerne darauf berufen.
Das kapiere ich jetzt nicht. Was ist mit BV 190?
Problematisch erachte ich auch, dass das BGer vom klaren Wortlaut des Art. 66a Abs. 1 lit. d StGB abweicht und anstatt dessen den unklaren Wortlaut der BV als massgebend erklärt, obwohl der dort verwendete Begriff des Einbruchdelikts – wie das BGer selbst ausführt – «kein Begriff des schweizerischen Strafrechts» (E. 1.5.1) darstellt…
@AL und CB: Der Gesetzgeber setzt die Verfassung um (Ergebnis: StGB 66a) und das Bundesgericht legt die Norm aus, indem es vom Wortlaut des (für das BGer massgeblichen) Gesetzes abweicht, sich dabei auf die Verfassung beruft und letztlich das macht, was der Gesetzgeber zu machen hatte und auch bereits gemacht hat – einfach anders. Nein, ich verstehe es auch nicht. Dass man für ein solches Delikt des Landes verwiesen werden müsste, halte ich für absurd. Aber wenn das Gesetz gelten soll, dann müsste eine Landesverweisung angeordnet werden. Bin gespannt, wie der Entscheid von der Politik aufgenommen wird.
Das bundrsgericht legt aus und sagt nicht, entgegen der gesetzesbestimmung gilt bv 121. Die auslegung ist aber, nun ja, originell. Das problem ist aber nicht das bundesgericht, sondern der gesetzgeber, welcher “politisierte kriminologische” begriffe wie “einbruchsdelikt” von “medial eingänglicher bildhaftigkeit” ins recht einführt (natürlich wissenschaftlich durchdacht).
@FG: Der Verfassungsgeber war das Problem. Der Gesetzgeber hat das Einbruchsdelikt in der Verfassung umgesetzt und daraus “Diebstahl in Verbindung mit Hausfriedensbruch” gemacht.
@kj. Völlig richtig. Der entscheid zeigt m. E. einfach zwei dinge: 1. dass “mediale bildhaftigkeit” (leider) als orientierungspunkt bei verfassungsentscheiden wichtiger ist als eine sinnvolle rechtsordnung und 2. Dass solche bildhaftigkeit zu solch kuriosen und wenig dogmatisch kohärenten entscheiden führt, was letzlich dazu führt, dass recht und speziell strafrecht erodiert. Beides erachte ich als besorgniserregend.
Entspricht es nicht ohnehin der Praxis der meisten Kantone, in solchen Fällen keinen Landesverweis zu beantragen bzw. auszusprechen? Ein solches Vorgehen sehen jedenfalls auch die Empfehlungen der SSK vor.
Meines Wissens wurden im Kanton Zürich diese Fälle nie unter Art. 66a StGB subsumiert. Von Aargauer Kollegen habe ich aber erfahren, dass bei Ladendiebstahl mit Hausverbot die Landesverweisung jeweils beantragt wurde.
Ich bin froh um den Entscheid. Er ist vernünftig und pragmatisch.
Dass die Strafrechtliche Abteilung Art. 190 Bundesverfassung nicht einmal erwähnt, dürfte – was ich zumindest sehr stark hoffe (!) – auch bundesgerichtsintern zu einigem Kopfschütteln führen.