Was läuft falsch in Bellinzona?

Die Strafkammer des Bundesstrafgerichts hat zwei Urteile in der selben Angelegenheit (SK.2006.4 vom 22.08.2006 und SK.2006.4 vom 16./28.08.2006) ins Netz gestellt, die lauter Fragen aufwerfen. Beim ersten Urteil handelt es sich um ein Sachurteil, beim zweiten um ein Prozessurteil.

Hier ein paar Fragen/Bemerkungen zum Prozessurteil SK.2006.4 vom 16./28.08.2006:

  1. Der Bundesanwalt und die drei amtlichen Verteidiger der drei Angeklagten beantragen, die Zuständigkeit der Strafkammer des Bundesstrafgerichts zu “bejahen”. Die amtlichen Verteidiger opponierten nicht gegen ein Abwesenheitsverfahren. Das Bundesstrafgericht tritt mit überzeugender Begründung nicht auf die Anklagen ein.
  2. Die Bundesanwaltschaft hat die Verfahren wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation (Art. 260ter StGB) eingestellt, begründet aber die Zuständigkeit des Bundesstrafgerichts damit, die angeklagten Handlungen seien von einer kriminellen Organisation ausgegangen.

Fragen/Bemerkungen zum Sachurteil SK.2006.4 vom 22.08.2006:

  1. Werden die Anträge der Verteidiger nur sinngemäss im Urteil wiedergegeben? Hier ein paar Anträge der Verteidigung gemäss Urteil, welche diesen Verdacht begründen:

    Es sei Herr A. zu bestrafen mit höchstens 3 bis 4 Jahren Gefängnis.

    Gegen die beantragte Einziehung hat Herr A. – unter Vorbehalt seines Reisepasses – nichts einzuwenden.

    Sie sei und wäre selbst im Falle einer gänzlichen Verurteilung im Sinne der Anklage milde und mit einer Freiheitsstrafe von allerhöchstens 2 ½ Jahren zu bestrafen.

    Das Gericht habe die weiteren Verfügungen zu treffen, so weit nötig.

  2. Die Zuständigkeit der Bundesstrafbehörden rettete das Bundesstrafgericht mit einem Kunstgriff:

    Die Folgen einer Verfahrensverlängerung wären für alle Angeklagten, welche sich zur Hauptverhandlung eingefunden haben und daher durch den Prozess unmittelbar berührt sind, schwer erträglich. Sie haben Anspruch darauf, dass ihnen dies erspart bleibt; denn sie müssen das Resultat einer unzweckmässigen staatlichen Verfahrensführung nicht hinnehmen (OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2. Aufl., Bern 2005, Rz 469). Das Bundesgericht leitet unter solchen Umständen eine Zuständigkeit auch in Fällen her, für welche das Verfahrensgesetz keinen Rechtsweg an diese Instanz vorsieht (BGE 125 II 417 E. 4c–d). Entsprechend muss sich die Zuständigkeit zur Beurteilung von an sich nicht in die Bundeszuständigkeit fallenden Anklagen direkt auf Art. 6 Abs. 1 EMRK abstützen lassen.