Was sind schwere Straftaten?

Im Rahmen der Prüfung der Verwertbarkeit einer rechtswidrig erfolgten privaten Videoaufzeichnung hatte sich das Bundesgericht zum Begriff der schweren Straftaten i.S.v. Art. 141 Abs. 2 StPO zu äussern (BGE 1468/2019 vom 01.09.2020, Publikation in der AS vorgesehen). Fraglich war, ob das Vergehen des Landfriedensbruchs nach Art. 260 StGB bereits als solche zu qualifizieren ist. Die Antwort heisst (weiterhin), es kommt darauf an, nämlich:

Das Sachgericht muss den konkreten Umständen Rechnung tragen können. Entscheidend ist deshalb nicht das abstrakt angedrohte Strafmass, sondern die Schwere der konkreten Tat. Dabei kann auf Kriterien wie das geschützte Rechtsgut, das Ausmass dessen Gefährdung resp. Verletzung, die Vorgehensweise und kriminelle Energie des Täters oder das Tatmotiv abgestellt werden (vgl. BGE 142 IV 289 E. 2.3; 141 IV 459 E. 4.1 S. 462; je mit Hinweisen) [E. 1.4.2]. 

Im konkreten Fall war die Schwere der konkreten Tat offenbar extrem bescheiden. Die Staatsanwaltschaft erkannte auf 60 Tagessätze. Die beiden Gerichtsinstanzen nahmen von der Bestrafung mangels Strafbedürfnisses Umgang (Art. 52 StGB). Das war dann aber trotz des passiven konkreten “Tatbeitrags” doch nicht bescheiden genug, denn bei der Schwere der konkreten Tat ist gemäss Bundesgericht auch zu beachten, was die anderen Landfriedensbrecher getan haben. Massgebend ist somit dann doch nicht die Schwere der konkreten Tat des Beschuldigten, sondern die Taten der anderen Beteiligten:

Der Umstand, dass dem Beschwerdeführer kein aktiver Beitrag an Gewalttätigkeiten vorgeworfen wird und die Vorinstanzen in Anwendung von Art. 52 StGB von einer Bestrafung Umgang nahmen, ist bei der Beurteilung seines Verschuldens im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Für die Frage, ob mit dem Landfriedensbruch eine schwere Straftat im Sinne von Art. 141 Abs. 2 StPO vorliegt und für die Interessenabwägung ist das Ausmass seines individuellen Tatbeitrags hingegen nicht entscheidend. Die konkrete Beteiligung des Beschwerdeführers lässt sich denn auch erst abschliessend beurteilen, nachdem über die Verwertbarkeit der Videoaufnahmen entschieden wurde (E. 1.4.4, Hervorhebungen durch mich).  

Diese Argumentation überzeugt mich nicht und am Schluss ist sie zudem zirkelschlüssig (ob das Beweismittel verwertbar ist, soll sich ernsthaft je nach der Würdigung des Beweismittels entscheiden?). Jedenfalls kann im Ergebnis eine schwere Straftat auch eine konkrete Tat sein, für die kein Strafbedürfnis besteht.

Kein Thema war hier – im Ergebnis wahrscheinlich zu Recht – die Hypothese der legalen staatlichen Beweiserlangung.