Weitere Aspekte fehlender Anonymisierung
In meinem letzten Beitrag habe ich darauf hingewiesen, dass die Vertreter der Beschwerdeführer der im Internet publizierten Entscheide des Bundesgerichts in der Regel nicht anonymisiert werden. Gestern wurden drei weitere Beispiele mit der angesprochenen Problematik online gestellt.
In ersten Urteil wird über den Terminplan eines Verteidigers und die notwendige Vorbereitungszeit für eine obergerichtliche Hauptverhandlung diskutiert:
Zwar sei der Verhandlungstermin vom 3. April 2007 (bereits) mit Verfügung vom 9. März 2007 angesetzt worden. Da jedoch sein Verteidiger vom 9. bis 27. März 2007 in den Ferien geweilt sei, am 27. März 2007 die Sitzungen des Kantonsgerichts vom 28. März 2007 – bei welchen er als Richter geamtet habe – vorbereitet habe und am 29. März 2007 an der Universität Luzern als Dozent engagiert gewesen sei, habe die tatsächliche Vorbereitungszeit nur zwei Arbeitstage betragen (E. 2).
[…]
Auch kann von einem Rechtsanwalt bei zeitlicher Dringlichkeit eines Falls erwartet werden, dass er andere Arbeiten aufschiebt. Von dem auf den 3. April 2007 angesetzten Verhandlungstermin erfuhr das Sekretariat des Vertreters des Beschwerdeführers bereits am 12. März 2007. Es blieb mithin genügend Zeit, um mit ihm entweder für den 30. März oder den 2. April 2007 einen Besprechungstermin zu vereinbaren. Wie die Vorinstanz zudem verbindlich festgestellt hat, ist der Verhandlungstermin mit dem Sekretariat des Verteidigers abgesprochen worden. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann insoweit von den Gerichtsbehörden nicht verlangt werden, dass sie zur Vereinbarung eines Verhandlungstermins bis zur Rückkehr des Parteivertreters aus den Ferien zuwarten (E. 3.4).
Im zweiten Entscheid geht es um die Kostennote eines amtlichen Verteidiger, welche als überhöht qualifiziert wird:
Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid erwogen, ein Zeitaufwand von 80 Stunden für die Erarbeitung der Berufungsschrift sei angemessen. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, ist nicht geeignet, diese Einschätzung im Ergebnis als willkürlich erscheinen zu lassen. Sein Einwand, der Gerichtsschreiber habe 40 Tage gebraucht, um das erstinstanzliche Urteil zu begründen, geht an der Sache vorbei, da sich das Verfassen von Urteilen und Rechtsschriften nicht direkt vergleichen lässt. Zwar sind, was das Obergericht keineswegs verkannt hat, die Akten relativ umfangreich und die Zahl der Delikte gross. Die einzelnen Vorwürfe sind indessen keineswegs besonders komplex, teilweise sogar eher banal. Vor allem aber hatte der Beschwerdeführer seinen Mandanten bereits vor erster Instanz verteidigt. Ihm waren somit die Akten wie auch die spezifischen Rechtsprobleme beim Verfassen der Berufungsschrift bereits vertraut, er musste weder beim Aktenstudium noch bei der rechtlichen Beurteilung von vorne anfangen, sondern konnte gezielt und damit zeitsparend vorgehen. Im Vergleich zu seiner anstandslos akzeptierten Kostennote vor der ersten Instanz, mit welcher er ab Eingang der Anklageschrift (8. Mai 2006) bis zur Hauptverhandlung (9. Juni 2006) für Aktenstudium und Vorbereitung des Plädoyers (einschliesslich organisatorischer Vorkehren, Besprechungen etc.) rund 70 Stunden einsetzte, erscheint der für das Verfassen der Berufungsschrift geltend gemachte Aufwand von 128 Stunden tatsächlich unverhältnismässig (E. 4.2).
Und weil es so schön ist, hier noch ein Zitat zu überflüssigen Aufwendungen eines Verteidigers:
Die Vorinstanz hat, wie dargelegt, einen Zeitaufwand von 21 Stunden für die Teilnahmen an den drei Einvernahmen vor dem Untersuchungsrichteramt als ausgewiesen eingestuft, jedoch gefolgert, der grösste Teil des Aktenstudiums sei überflüssig gewesen. Insgesamt verdiene ein Zeitaufwand von 30 Stunden Berücksichtigung. Dieser Schluss ist sachlich begründet: Die Argumentation im angefochtenen Urteil, in der massgeblichen Zeitspanne zwischen Juli 2000 und Mai 2002 sei nur ein geringer Aufwand fürs Aktenstudium notwendig gewesen, weil die Anklage erst Ende 2004 erhoben worden sei, ist nicht offensichtlich unhaltbar (E. 2.5.2)
Alle drei Entscheide mögen richtig sein. Aber müssen die Anwälte wirklich vorgeführt werden? Cui bono?
Aber auch cui malo? Ich würde zu etwas mehr Selbstvertrauen auffordern. Die Verhandlungen sind grundsätzlich öffentlich, ich finde es daher schon überhaupt nicht zwingend, dass man die Parteien nachträglich für das schriftliche Urteil anonymisiert (jedenfalls in Zivilprozessen).
Leider prozessieren zu viele Anwälte immer noch (oder immer öfter?) leichtfertig und unsauber und damit zum Nachteil ihrer Mandanten und letztlich auch zum Nachteil eines funktionierenden Rechtsstaates. Dass man als Anwalt gezwungen ist, sich zu Fragen, ob man auch im Falle eines Unterliegens zu seiner Arbeit stehen könnte, finde ich daher im Gegenteil einen notwendigen Anreiz zu standespflichtgemässem Handeln und zur Qualitätsverbesserung. Es ist m.E. Bestandteil, nicht bloss Nebenerscheinung, des Öffentlichkeitsprinzips.
Mein Blog hat den bewusst gewählten Vorteil, dass man sich anonym zu meinen manchmal provokativen Kommentaren äussern kann. Das erlaubt es auch, den Anwälten leichtfertige und unsaubere Prozesführung zu unterstellen, ohne dafür einstehen zu müssen. Das darf und soll so sein.
Wenn Sie mal als Anwalt gearbeitet haben, wissen Sie vielleicht, dass es nicht ganz so einfach ist wie Sie es darstellen. Zu unserer Arbeit stehen müssen wir übrigens auch ohne den Internet-Pranger. Wir sind es, die unseren Klienten erklären müssen, dass und warum die Beschwerde abgewiesen wurde (zum Beispiel weil wir sie zu wenig qualifiziert begründet haben) und warum sie uns trotzdem ein paar tausend Franken für die erfolglose Arbeit bezahlen müssen. Angesichts dieser Umstände prozessiert man in der Regel nicht leichtfertig.
Punkto Qualitätskontrolle würde ich wenn schon dafür plädieren, dass auch die Rechtsschriften der Anwälte ins Netz gestellt werden.
Die Unterstellung ist nicht genereller Art (ich meine das geht aus der Formulierung hervor), die Realitäten sind mir durchaus bekannt. Dass aber nicht einfach alles nur das Gelbe vom Ei ist, was unter dem Titel der pflichtgemässen Wahrung der Interessen produziert wird, dürfte auch wiederum eine eher triviale Feststellung sein. “Zuviel” sind dabei jedenfalls jene Fälle, wo dies auf eine einigermassen bewusste Nachlässigkeit des agierenden Anwalts zurückgeht. Die Aussage war ohnehin nicht dies, sondern vielmehr, dass jener – weit überwiegende – Teil der Anwaltschaft, welcher pflichtgemäss seinem Mandat nachgeht, durch eine Namensnennung nicht oder kaum je beeinträchtigt sein dürfte.
Immerhin bleibt in Fällen wie jenem von der entscheidrelevanten Krankengeschichte des nicht-anonymen Anwalts (vgl. gestriger Eintrag) wohl die Möglichkeit, dem Bundesgericht eine Anonymisierung in der Publikation zu beantragen. Ich weiss zwar von keinem Fall wo dies beantragt worden wäre, denke aber, dass das Gericht Mühe hätte, dies auszuschlagen.
Doch noch zum Schluss in eigener Sache: Es ist die (relative) Anonymität der Kommentare, welche eine Diskussion erlaubt, die sonst so mit Sicherheit nicht stattfinden würde. Dass dabei der Eindruck entsteht, man wolle sich hinter dieser Anonymität verstecken, lässt sich leider nicht vermeiden, tut aber eigentlich auch nichts zur Sache. In gewisser Hinsicht wird auch etwas dran sein. Für Ihre Arbeit und die gebotene Möglichkeit des Gedankenaustausches bin ich Ihnen jedenfalls sehr dankbar.
Guten Abend
Sofern sich die Gilde der missionarischen Kreuzritter aus Bern i.S. Gerichtsbesetzung noch über mangelnde Anonymisierung beschwert, so erstaunt dieses doch sehr. Immerhin sind deren Schriftsätze doch sehr offensichtlich und quasi wohl schon eigenes Marketing eines „Familienunternehmens“…..
https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2F15-04-2019-8C_665-2018&lang=de&type=show_document&zoom=YES&