Welche Geschwindigkeit ist angemessen?
Das Bundesgericht bestätigt die Verurteilung eines Automobilisten, der nachts auf der Autobahn mit Metallregalen kollidierte, die einem anderen Verkehrsteilnehmer vom Anhänger gefallen waren (BGer 6B_673/2011 vom 20.12.2011). Gemäss eigenen Angaben fuhr der Beschwerdeführer mit normalem Abblendlicht und einer Geschwindigkeit von ca. 110 km/h. Die Strassen waren regen- und schneefrei, die Sichtverhältnisse gut. Verurteilt wurde der Beschwerdeführer wegen Nichtanpassens der Geschwindigkeit (Busse, CHF 100.00). Zum Verhängnis wurde ihm der Unfallrapport und insbesondere seine eigenen Angaben.
Die geltende Rechtslage fasst das Bundesgericht wie folgt dar:
Der Fahrzeugführer darf nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überblickbaren Strecke halten kann (Art. 4 Abs. 1 Verkehrsregelverordnung vom 13. November 1962 (VRV; SR 741.11)). Dies gilt auch auf Autobahnen (Art. 43 Abs. 3 Satz 3 SVG i.V.m. Art. 36 VRV), insbesondere nachts beim Fahren mit Abblendlicht (BGE 126 IV 91 E. 4a/bb; 93 IV 115 E. 2; bestätigt im Urteil 6B_451/2010 vom 13. September 2010 E. 3.3.2; vgl. auch BGE 100 IV 279 E. 2a, wonach die Geschwindigkeit eines mit Abblendlicht fahrenden Fahrzeugs nur den Verhältnissen angepasst ist, wenn der Führer in der Lage ist, innert der kürzesten beleuchteten Strecke anzuhalten, d.h. auf der linken Fahrbahnseite innert 50 m). Nach der Rechtsprechung muss der Fahrzeuglenker auf Autobahnen nachts mit unbeleuchteten Hindernissen rechnen, wie etwa mit Ladegut, das von fahrenden Fahrzeugen herabfällt und den nachfolgenden Verkehr behindert (BGE 126 IV 91 E. 4a/cc; 93 IV 115 E. 2) (E. 2.1).
Natürlich weiss auch das Bundesgericht, dass die Rechtslage von der gelebten Praxis massiv abweicht. Es relativiert daher wie folgt:
Dies bedeutet indes nicht, dass auf Autobahnen im Nachtverkehr stets mit der der Reichweite des Abblendlichts angepassten Geschwindigkeit gefahren werden muss. Zum einen kann streckenweise das Fernlicht eingeschaltet werden, zum anderen gibt es auch immer wieder Teilstücke, so jedenfalls im Bereiche von Ausfahrten, Signaltafeln, Rastplätzen usw., die durch ortsfeste Lichtanlagen zusätzlich beleuchtet werden (BGE 93 IV 115 E. 2) (E. 2.1).
Von dieser Relativierung konnte der Beschwerdeführer indes nicht profitieren:
Wie sich aus dem vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen Sachverhalt ergibt, ist jener mit einer Geschwindigkeit von ca. 110 km/h gefahren. Der errechnete Bremsweg beträgt 93 Meter (…). Weiter kann davon ausgegangen werden (E. 1.4 hievor), dass der Beschwerdeführer mit Abblendlicht ungefähr 50 Meter weit gesehen hat. Der Bremsweg beträgt demnach beinahe das Doppelte der tatsächlichen Sichtweite (…). Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass der Beschwerdeführer die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges nicht den Verhältnissen angepasst hat, da die von ihm gefahrene Geschwindigkeit von 110 km/h ein Anhalten auf die der herrschenden Sichtweite entsprechende Distanz von 50 Metern nicht mehr erlaubte (E.2.2).
Damit kann die Rechtsprechung über die angemessene Geschwindigkeit (Autobahn, Nacht, normale Sicht, Abblendlicht 50 m, keine anderen Lichtquellen) wie folgt zusammengefasst werden: Wer mit über ca. 80 km/h (Anhalteweg ca. 50 m) fährt, macht sich strafbar.
tja… das Erfolgsstrafrecht lässt grüssen… immer diese “Raserfälle”… 😉