Wenn die Strafjustiz auf Schätzungen abstellt

Ein heute online gestelltes Urteil des Bundesgerichts (BGer 6B_1039/2009 vom 16.02.2010) zeigt, wie grosszügig die Justiz bisweilen mit der Feststellung des Sachverhalts umgehen darf, ohne in Willkür zu verfallen:

1.4.3 Sind Betäubungsmitteldelikte zu beurteilen und konnten keine Drogen sichergestellt werden, kann die Justiz Schätzungen nicht vermeiden. Das Bundesgericht hat das Abstellen auf die durchschnittliche Qualität des in den Handel gelangenden Kokains als nicht willkürlich bezeichnet (Urteil 1P.624/2002 vom 10. Februar 2003 E. 3.3). Kann der Richter annehmen, dass mit durchschnittlichem Stoff gehandelt wurde, kann er auf den durchschnittlichen Reinheitsgrad abstellen (vgl. Thomas Hansjakob, Zur Strafzumessung in Betäubungsmittel-Straffällen, SJZ 90/1994 S. 58 ff.).

Aufgrund der Willkürkognition des Bundesgerichts hilft es dem Beschwerdeführer dann auch nicht, dass seine Argumente an sich zutreffend sind:

1.4.4 Die Vorinstanz legt dem Beschwerdeführer einen Handel mit 15.596 Gramm reinem Kokain zur Last, indem sie, gestützt auf die Statistik der Gruppe Forensische Medizin SGRM, die mittleren Betäubungsmittelgehalte der Jahre 2005 und 2006 heranzieht. Die Ausführungen des Beschwerdeführers, wonach der jeweilige Median kleiner sei, sind zutreffend. Mithin erscheint seine Darstellung vertretbar, sie genügt aber für die Begründung von Willkür nicht (E. 1.1.2 hievor). Selbst wenn davon auszugehen ist, dass sich die Betäubungsmittel im gemessenen Reinheitsgrad statistisch nicht normalverteilt verhalten, verletzt die Annahme der Vorinstanz unter dem Gesichtspunkt der Willkür den Grundsatz “in dubio pro reo” nicht. Diese aus der Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK) abgeleitete Maxime hat das Bundesgericht wiederholt dargelegt, worauf zu verweisen ist (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41 mit Hinweisen). Hätte sich die Vorinstanz auf die jeweiligen Medianwerte abgestützt (48 % respektive 42 %), resultierte eine Gesamtmenge von 14.892 Gramm reinem Kokain. Offensichtlich erhebliche bzw. schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an der gehandelten Menge bestehen deshalb nicht. Die Beschwerde ist in diesem Punkt unbegründet.

Nun gut, im Ergebnis ging es hier nur um weniger als ein Gramm. Erhebliches Unbehagen stellt sich allerdings ein, wenn man dem Urteil entnehmen kann, dass der Beschwerdeführer von der Vorinstanz in antizipierter Beweiswürdigung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt wurde:

Wie bereits vor Vorinstanz legt er einzig dar, dass er seine Haare im Jahre 2006 anders getragen habe, als dies von der Zeugin Ende 2007 beschrieben wurde. Hingegen zeigt er nicht substanziiert auf, inwiefern die vorinstanzliche (antizipierte) Beweiswürdigung auch im Ergebnis offensichtlich unhaltbar sei und sein rechtliches Gehör verletze (BGE 133 IV 286 E. 1.4 S. 287 f.; 133 II 249 E. 1.4 S. 254 f. mit Hinweis). Seine Vorbringen genügen den Begründungsanforderungen gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG nicht, weshalb auf die Beschwerde insoweit nicht einzutreten ist (E. 1.3).