Wenn Indizien den Schuldspurch nicht begründen

Man kann eine Verurteilung sehr wohl auch auf Indizien stützen. Nicht zulässig ist es aber, gestützt auf Indizien zu verurteilen, wenn weitere Beweisabnahmen ohne Weiteres möglich wären, was auch in Bagatellstrafsachen gilt. So verstehe ich einen heute publizierten Entscheid des Bundesgerichts, der ein Urteil der Vorinstanz wegen eines völlig unbedeutenden Nebenpunkts kassiert und einen vergleichsweise sehr strengen Massstab an die Untersuchungspflicht anlegt (BGer 6B_184/2022 vom 18.08.2023):

Zusammenfassend ist nochmals festzuhalten, dass zwar durchaus gewichtige Indizien dafür vorliegen, dass der Beschwerdeführer Heroingemisch an B. “gereicht” hat, zumal sich der fragliche Vorfall an einem stadtbekannten Drogenumschlagplatz ereignet hat und zivile Polizeibeamte nachweislich verdächtige Beobachtungen gemacht haben. Anhand der für den vorliegenden Fall aufgezeigten, konkreten Umstände hätte die Vorinstanz aber nicht auf die Abnahme weiterer Beweise verzichten dürfen, so etwa auf eine Befragung des mutmasslichen Abnehmers B. oder derjenigen Polizeibeamten, die die Übergabe eines “kleinen weissen Gegenstandes” beobachtet haben. Damit ist sie ihrer Untersuchungspflicht nicht nachgekommen und verfällt in Willkür, wenn sie den zur Anklage erhobenen Sachverhalt als erstellt erachtet. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als begründet (E. 1.3). 

Bei schweren Verbrechen mit langjährigen Freiheitsstrafen ist das Bundesgericht bisweilen deutlich grosszügiger. Mir ist der strenge Massstab aber deutlich lieber.