Widerruf und Gesamtstrafe: Änderung der Rechtsprechung

In BGE 134 IV 241 war das Bundesgericht zur Auffassung gelangt, dass Art. 46 Abs. 1 Satz 2 StGB (Bildung einer Gesamtstrafe bei Widerruf) im Gesetzgebungsverfahren hätte ersatzlos gestrichen werden müssen (a.a.O. E. 4.1 S. 243 f.).

An dieser Rechtsprechung hält es nun nicht mehr fest (BGE 6B_932/2018 vom 24.01.2019, Publikation in der AS vorgesehen) und ändert seine Praxis nach folgendem Auslegungsergebnis:

Als Auslegungsergebnis kann somit festgehalten werden, dass sich aus dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte sowie der systematischen Stellung von Art. 46 Abs. 1 Satz 2 StGB ergibt, dass das Gericht – die Gleichartigkeit der einzeln ausgesprochenen Strafen und den Widerruf der Vorstrafe vorausgesetzt – mit den früheren Taten und den während der Probezeit begangenen Taten eine Gesamtstrafe bilden muss. An der bisherigen Rechtsprechung kann folglich nicht festgehalten werden (E. 2.3.5).  

Bei der Bildung der Gesamtstrafe ist wie folgt vorzugehen:


Es erscheint nach dem Dargelegten sowie im Lichte einer kohärenten Rechtsprechung zweckmässig, bei der Gesamtstrafenbildung nach Art. 46 Abs. 1 Satz 2 StGB auf die zu Art. 62a Abs. 2 und Art. 89 Abs. 6 StGB entwickelte Methodik zurückzugreifen (BGE 135 IV 146 E. 2.4.1 S. 150; Urteil 6B_297/2009 vom 14. August 2009 E. 3.3). Bei der Gesamtstrafenbildung hat das Gericht demnach methodisch von derjenigen Strafe als “Einsatzstrafe” auszugehen, die es für die während der Probezeit neu verübte Straftat nach den Strafzumessungsgrundsätzen von Art. 47 ff. StGB ausfällt. Anschliessend ist diese mit Blick auf die zu widerrufende Vorstrafe angemessen zu erhöhen. Daraus ergibt sich die Gesamtstrafe. Bilden die “Einsatzstrafe” für die neu zu beurteilenden Probezeitdelikte und die Vorstrafe ihrerseits Gesamtstrafen, kann das Gericht der bereits im Rahmen der jeweiligen Gesamtstrafenbildung erfolgten Asperation durch eine gemässigte Berücksichtigung bei der Gesamtstrafenbildung Rechnung tragen (vgl. insofern auch BGE 142 IV 265 E. 2.4.4 S. 272 zu Art. 49 Abs. 2 StGB) [E. 2.4.2].