Widerrufsverzicht ohne besonders günstige Umstände
Das Bundesgericht kassiert ein kantonales Urteil, das den Widerruf einer bedingten Vorstrafe anordnete (BGer 6B_364/2008 vom 18.03.2008, Fünferbesetzung). Das Bundesgericht stellt sich damit gegen die wohl herrschende Lehre und auf die Seite der Verurteilten und stellt klar, dass für den Verzicht auf einen Widerruf (Art. 46 Abs. 2 StGB) keine “besonders günstigen Umstände” erforderlich sind:
In der Lehre wird dabei die Meinung vertreten, in analoger Anwendung von Art. 42 Abs. 2 StGB seien beim Widerruf ebenfalls besonders günstige Umstände zu verlangen, wenn die neue Strafe auf über sechs Monate Freiheitsstrafe oder auf mehr als 180 Tagessätze Geldstrafe lautet (…). Indessen hat der Gesetzgeber das nach altem Recht zusätzliche formelle Erfordernis des leichten Falles (Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 aStGB) für den Widerrufsverzicht nach Art. 46 StGB nicht übernommen (siehe insbesondere bundesrätliche Botschaft, BBl 1999 II 2056). Ein solches darf aber nicht über den Umweg der Analogie zu Lasten des Verurteilten wieder eingeführt werden. Besonders günstige Umstände, wie sie Art. 42 Abs. 2 StGB für den bedingten Strafaufschub bei entsprechender Vorverurteilung verlangt, sind für den Widerrufsverzicht demnach nicht erforderlich. Das heisst allerdings nicht, dass es im Rahmen von Art. 46 StGB auf die neue Tat und die daraus resultierende Strafe überhaupt nicht ankommen würde. Art und Schwere der erneuten Delinquenz bleiben vielmehr auch unter neuem Recht für den Entscheid über den Widerruf von Bedeutung, insoweit nämlich, als das im Strafmass für die neue Tat zum Ausdruck kommende Verschulden Rückschlüsse auf die Legalbewährung des Verurteilten erlaubt. Insoweit lässt sich sagen, dass die Prognose für den Entscheid über den Widerruf umso eher negativ ausfallen kann, je schwerer die während der Probezeit begangenen Delikte wiegen (E. 4.5, Hervorhebungen durch mich).