Wie belehrt man eine Auskunftsperson?
Von seltenen Ausnahmen abgesehen ist die Polizei nicht berechtigt, Zeugeneinvernahmen durchzuführen (Art. 142 Abs. 2 StPO). Die von ihr befragten Personen werden daher entweder als beschuldigte Personen oder als Auskunftspersonen befragt. Ist dabei von Vornherein klar, dass die Befragten eigentlich Zeugen sind, weil sie als beschuldigte Personen ausscheiden, muss die Polizei sie sowohl auf die Rechte und Pflichten einer Auskunftsperson als auch auf jene eines Zeugen oder einer Zeugin aufmerksam machen (BGE 144 IV 28).
Diese Rechtsprechung des Bundesgerichts ist in den Kantonen soweit ersichtlich nicht angekommen, was ein aktuelles Beispiel aus dem Kanton SH zeigt (BGer 7B_182/2022 vom 09.11.2023):
Da sie in den staatsanwaltschaftlich delegierten Einvernahmen (G. am 24. Februar 2017 und Dr. med. H. am 15. Mai 2017) nicht als Zeugen, sondern als Auskunftspersonen belehrt und einvernommen wurden, sind die fraglichen Einvernahmen – selbst wenn keine Zeugnisverweigerungsrechte zur Diskussion standen – mangels Hinweises auf die Zeugnis- und Wahrheitspflicht und die Strafbarkeit eines falschen Zeugnisses ungültig (Art. 177 Abs. 1 StPO; vgl. E. 2.3.4 hiervor), soweit sie für eine Verurteilung herangezogen werden. Hingegen ist die unterbliebene Belehrung irrelevant, soweit daraus nichts zu Lasten des Beschwerdeführers abgeleitet wird (…). Auf die von der Vorinstanz in diesem Zusammenhang zitierte nicht publizierte bundesgerichtliche Rechtsprechung (vgl. Urteil 6B_952/2019 vom 11. Dezember 2019 E. 2.3 und die dortigen Verweise, welche vor der Rechtsprechung in BGE 144 IV 28 ergangen sind) ist nicht abzustellen. Die gesetzliche Folge der Ungültigkeit der fraglichen Einvernahmen ist unabhängig von einer allfälligen Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte, zumal der Grundsatz eines fairen Verfahrens die gesetzeskonforme Erhebung der Beweismittel voraussetzt. Die Rüge des Beschwerdeführers wegen Verletzung von Art. 177 Abs. 1 i.V.m. Art. 142 Abs. 1 und Art. 143 Abs. 1 lit. c StPO ist begründet (E. 2.4.2, Hervorhebungen durch mich).
Folge ist die absolute Unverwertbarkeit der Aussage der Auskunftsperson. Mir ist allerdings bis heute nicht klar, ob der hier zitierte Entscheid tatsächlich der Auffassung in BGE 144 IV 28 entspricht. Und: Macht sich die lügende oder die schweigende Auskunftsperson nach einer Zeugenbelehrung strafbar?
Wenn man weiss, dass die Schaffhauser Untersuchungsbehörden die bundesgesetzlichen Regeln für Zeugeneinvernahmen seit Jahren missachten, vermag dieser Entscheid nicht zu überraschen.
Die beiden Fälle kann man nicht vergleichen. Im 144-er-Entscheid ging es um selbständige Befragungen durch die Polizei, im Schaffhauser Fall hingegen um delegierte Einvernahmen.