Wie man Gefangene bestraft
Vollzugsrechtlich fehlbare Strafgefangene werden gemäss Bundesgericht nicht bestraft, sondern diszipliniert. Wer sich in einem solchen Disziplinarverfahren verteidigen will, kommt daher in der Regel nicht in den Genuss der Verfahrensgrundrechte von Art. 6 Ziff. 1 EMRK.
Das heisst zwar noch nicht, dass die zu disziplinierende Person rechtlos wäre. Sie wird es faktisch aber durch fragwürdige kantonale Vollzugsgesetze wie das bernische SMVG. Dieses begünstigt die Anordnung von Disziplinarmassnahmen dadurch, dass sich die Betroffenen bei Lichte betrachtet nicht wirksam dagegen wehren können. So hat beispielsweise die Beschwerde bei einer Beschwerdefrist von drei Tagen keine aufschiebende Wirkung.
Das Bundesgericht sieht darin kein Problem (BGer 6B_729/2018 von 26.09.2018), obwohl kurze Rechtsmittelfristen „nicht unproblematisch sein können“.
Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung muss gegen eine Disziplinarmassnahme ein wirksamer Rechtsschutz im Sinne von Art. 29 Abs. 1 BV gegeben sein. Die betreffende Verwaltungspraxis darf – gerade im Hinblick auf betroffene juristische Laien im Strafvollzug – nicht übertrieben kompliziert bzw. überspitzt formalistisch ausfallen (…). Zwar kann hier das kantonale Beschwerdeverfahren nicht als kompliziert bezeichnet werden. Ebenso wenig kann die im vorliegenden Verfahren dreitägige Frist zur Führung einer Beschwerde (Art. 80 Abs. 2 SMVG) als überspitzt formalistisch qualifiziert werden. Im Disziplinarverfahren besteht mit der Vorinstanz ein Interesse an einer raschen Überprüfung der Rechtmässigkeit der (häufig wenige Tage dauernden) Sanktionen, weshalb eine kurze Rechtsmittelfrist sachlich gerechtfertigt und nicht als blosser Selbstzweck erscheint (vgl. zum Begriff des überspitzten Formalismus BGE 142 I 10 E. 2.4.2 S. 11 f. mit Hinweisen). Daran ändert nichts, dass der Disziplinarbeschwerde in der Regel keine aufschiebende Wirkung zukommt. Ordnet die verfügende POM Gegenteiliges an (vgl. Art. 80 Abs. 5 SMVG), tangiert die Rechtsmittelfrist die Frage der Vollstreckung und ist nicht Selbstzweck.Hingegen mag zutreffen, dass im Licht eines wirksamen Rechtsschutzes betrachtet knappe Rechtsmittelfristen nicht unproblematisch sein können. Hingegen ist im vorliegenden Verfahren der massgebende Sachverhalt (Arbeitsverweigerung am 20. November 2017 und allenfalls 17. November 2017) im wesentlichen unbestritten, die Verfahrensakten sind nicht umfangreich und die zweiseitige Disziplinarverfügung ist kurz gehalten. Macht der Beschwerdeführer geltend, für das Verfassen einer Eingabe kein Papier und/oder keinen Schreibstift gehabt zu haben und auf das Ende des Einschlusses vertröstet worden zu sein (Beschwerde S. 10), entfernt er sich in unzulässiger Weise vom verbindlichen Sachverhalt der Vorinstanz (Art. 105 Abs. 1 BGG), ohne eine willkürliche Beweiswürdigung aufzuzeigen. Die Vorinstanz qualifiziert den Standpunkt des Beschwerdeführers, über keine Schreibutensilien (Papier und Stift) verfügt zu haben, als unglaubhaft. Ebenso wenig kann ihm gefolgt werden, stellt er sich auf den Standpunkt, bei Eröffnung der Verfügung an einem Dienstag hätte ein Disziplinierter bis Donnerstag Beschwerde erheben oder eine anwaltliche Vertretung organisieren müssen. Die Angemessenheit einer Frist beurteilt sich nach objektiven Kriterien. Im Übrigen ging der Beschwerdeführer offensichtlich nicht von einer zweitägigen Rechtsmittelfrist aus. Im Wesentlichen stellt sich der Beschwerdeführer auf den Standpunkt, eine dreitägige Frist erlaube nicht, eine Disziplinarbeschwerde zu verfassen respektive eine Rechtsvertretung damit zu beauftragen. Sie ziele darauf ab, den Anstaltsleitungen „das Leben zu erleichtern“ und sei deshalb nicht fair. Dem kann nicht gefolgt werden. Selbst wenn die fragliche Frist knapp bemessen ist, war es dem Beschwerdeführer mit Blick auf den massgebenden Sachverhalt, die Verfahrensakten und den Umfang der angefochtenen Verfügung möglich und zumutbar, innert drei Tagen bei der POM eine Beschwerde einzureichen. Diese Rechtsmittelfrist kann nicht allein deshalb als unfair bezeichnet werden, weil sie kurz bemessen ist. Sie wäre bei gegebenen Voraussetzungen wiederherstellbar gewesen (Art. 82 SMVG in Verbindung mit Art. 43 Abs. 2 des Gesetzes des Kantons Bern vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege [VRPG; BSG 155.21]). Im Übrigen finden sich Fristen von wenigen Tagen etwa auch in der Schweizerischen Strafprozessordnung (Art. 227 Abs. 3, Art. 228 Abs. 3, Art. 202 Abs. 1 lit. a, Art. 203, Art. 60 Abs. 1 StPO; „unverzüglich“ etwa in Art. 41 Abs. 1, Art. 58 Abs. 1 StPO; Fristen in Stunden wie beispielsweise 24 Stunden richten sich ausschliesslich an Strafbehörden, vgl. Art. 50 Abs. 2, Art. 219 Abs. 4 und 5, Art. 224 Abs. 2, Art. 226 Abs. 1, Art. 232 Abs. 2, Art. 274 Abs. 1, Art. 289 Abs. 2 StPO; vgl. demgegenüber § 418 Abs. 2 D-StPO) sowie im Bundesgerichtsgesetz (Art. 38 Abs. 1, Art. 100 Abs. 3 und 4 BGG).
„(….) besteht mit der Vorinstanz ein Interesse an einer raschen Überprüfung der Rechtmässigkeit (…)“:
Das dürfte seitens der POM kaum zutreffen. In einem aktuellen Verfahren bauchte die POM ein knappes Jahr für einen ersten Entscheid. Die Sache ist noch nicht abgeschlossen, darum erst später evtl. mehr dazu.
Verstösse gegen die Anstaltsordnung werden also nicht bestraft, sondern haben disziplinarische Folgen. Für Disziplinarverfahren gelten in BE die Regeln des Verwaltungsrechtspflegegesetzes, das von der EMRK nicht erfasst wird. ABER: Nach aktuellem Kenntnisstand werden jedenfalls in der JVA Thorberg auch angebliche Sachverhalte disziplinarisch behandelt, die laut StGB mit Strafe bedroht sind, was m.E. in mehrfacher Hinsicht die EMRK missachtet. Wir werden sehen.
So ist es. Bspw. strafbarer Drogenkonsum wird einfach disziplinarisch geahndet. Disziplinarische Einschliessung oder Arrest treten mitunter an die Stelle des strafrechtlichen Strafverzichts.
Mir ist ein Fall bekannt, indem eine Insassin in Hindelbank von der Direktorin zu Unrecht drei Tage Arrest (Bunker) bekam. In die Arrestzelle darf man nichts, d. h. auch kein Stift zum Schreiben mitnehmen. Also verlangte die Insassin beim Personal sofort Papier und etwas zum Schreiben, was ihr dann noch am gleichen Tag gebracht wurde. Schreiben musste sie die Beschwerde am Boden, da es in diesem Bunker weder Tisch noch Stuhl gibt. Noch am gleichen Tag holte jemand vom Personal die Beschwerde ab und leitete sie innerhalb der Frist weiter.
Etwa ein Jahr später wies die POM ihre Beschwerde ab und verlangte noch Fr. 800.- für den Entscheid.
Die sonst schon geschwächte Insassin schrieb daraufhin mit letzter Kraft mittels eines Rechtsmittels an das Berner Verwaltungsgericht. Letzteres überwies dann ihr Rechtsmittel an die zuständige Stelle (Regierungsrat, Kirchen- und Justizdepartement). Dieser Regierungsrat schaute sich das Ganze dann näher an und etwa im Dezember 2008 wurde die Beschwerde der Insassin gutgeheissen.
Danke. Sarah. Mir sind ähnliche Fälle bekannt. Ist es nicht einfach peinlich?