Wiedergutmachung ohne Unrechtseinsicht?
Art. 53 StGB kommt gemäss einem neuen Urteil des Bundesgerichts nur zur Anwendung, wenn der Täter nicht nur den Schaden gedeckt und das Unrecht ausgeglichen hat. Er muss das Unrecht auch noch einsehen. Einsicht scheint aber auszuschliessen, auf Freispruch zu plädieren und die Tatbestandsmässigkeit des festgestellten Sachverhalts in Abrede stellt. So interpretiere ich den heute publizierten Entscheid BGer 6B_134/2014 vom 16.06.204:
Der Beschwerdeführer macht eine Strafbefreiung gestützt auf Art. 53 StGB (Wiedergutmachung) geltend. Zur Begründung bringt er vor, er habe sich um eine Klärung der Situation bemüht. Ein Schaden sei durch sein Handeln nicht entstanden. Gemäss Vorinstanz fehlt dem Beschwerdeführer jedoch die Einsicht in das Unrecht der Tat. Sie verletzt kein Bundesrecht, wenn sie von einer Strafbefreiung im Sinne von Art. 53 StGB absieht (E. 4.3).
Unsere Gesellschaft und ihr Strafrecht wollen eben reumütige Sünder sehen. Prominente Geschäftsleute, die es sich – wohl auf Rat ihrer Verteidiger – erlauben, trotz begangener Fehler auf Freispruch zu plädieren, verdienen auch dann keine Milde, wenn sie den Schaden ausgeglichen haben.
Ich möchte darauf hinweisen, dass die Einführung der Strafbefreiung durch Wiedergutmachung wohl im Sinne einer restaurativen Strafrechtspflege erfolgte. Der strafrechtliche Wiedergutmachungsgedanke ist auch in der Schweiz nicht neu. Schliesslich sollte die Wiedergutmachung des Schadens grundsätzlich vor jeglicher Bestrafung Platz finden (siehe das Ultima-ratio-Prinzip des Strafrechts und das Integrationsziel). Wiedergutmachung ist im Rahmen der Strafzumessung relevant (Art. 47, 48 lit. d StGB). Art. 53 StGB stellt eigentlich eine Erweiterung des “Wiedergutmachungssystems” im Strafrecht dar. Geht es bei der sozialen Reaktion auf Kriminalität überhaupt (nur) um Bestrafen oder (auch) um die Wiederherstellung der Gerechtigkeit? Die sog. “Einsicht in das Unrecht” wäre im Ergebnis breiter auszulegen. Greift das Verständnis des Unrechts bzw. des kriminellen Verhaltens als “Verstoss gegen Normen” heutzutage nicht zu kurz? Betreffend prominente Geschäftsleute: Geld allein ist noch keine Wiedergutmachung. Diese ist übrigens auch ohne Geld möglich. Wiedergutmachung an sich hat nichts mit Geld zu tun; wenn überhaupt, dann geht es vor allem um die symbolische Bedeutung einer materiellen Leistung im Kontext des Unrechtsausgleichs oder besser: der Wiederherstellung der Gerechtigkeit).