Willkür beim subjektiven Tatbestand?

Eigentlich ist es ja kaum vorstellbar, mit einer Willkürbeschwerde Erfolg zu haben, wenn es darum geht, das Beweisergebnis in Bezug auf innere Tatsachen vor Bundesgericht anzugreifen. Seltene Ausnahme bildet ein heute publizierter Entscheid des Bundesgerichts (BGer 6B_212/2019 vom 15.05.2019).

In der Sache ging es darum festzustellen, ob der beschuldigte Pfleger eine “schwer demente und hoch pflegebedürftige” Patientin vorsätzlich oder eventualvorsätzlich verletzt hatte:

Der Eventualvorsatz erlaubt zwar den Schluss vom sicheren Wissen der Möglichkeit des Erfolgseintritts beziehungsweise um das Risiko der Tatbestandsverwirklichung auf das in Kauf nehmen dieses Erfolgs (BGE 130 IV 1 E. 4.1 S. 3). Der Eventualvorsatz ersetzt aber nur die Willensseite, nicht auch die Wissensseite; dies hätte eine Gleichsetzung von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten zur Folge. Dass der Beschwerdeführer den heissen Gegenstand wissentlich an den Oberschenkel von D. gehalten hätte, ist nicht nachgewiesen. Zwar kann aus den Indizien willkürfrei darauf geschlossen werden, dass sich die Verletzung von D. in Anwesenheit und unter Mitwirkung des Beschwerdeführers zugetragen hat. Insbesondere, dass der Beschwerdeführer keinen vollständigen Eintrag der Geschehnisse an diesem Morgen im Erfassungssystem für Pflegeleistungen “EasyDoc” vorgenommen hat, lässt ein sorgfaltspflichtwidriges Fehlverhalten des Beschwerdeführers als sehr naheliegend erscheinen. In keiner Weise ist aber ein vorsätzliches Handeln des Beschwerdeführers indiziert. Der Beschwerdeführer stand im Zeitpunkt der Verletzung von D. zwei Monate vor seiner Lehrabschlussprüfung. Aufgrund eines vorgängigen Verweises in anderem Zusammenhang, einer einmalig nicht erbrachten Pflegeleistung und schlechter schulischer Leistungen hing sein Lehrabschluss an einem seidenen Faden. Die Vorgesetzten des Beschwerdeführers gingen übereinstimmend davon aus, dass sich der Beschwerdeführer kein Fehlverhalten mehr erlauben durfte, ansonsten eine Auflösung des Lehrverhältnisses drohte. Dass dem Beschwerdeführer bei Vornahme der Pflegeleistung an D. ein Missgeschick mit Verletzungsfolge passiert war, das er aufgrund seiner Situation nicht korrekt meldete, ist die weitaus naheliegendere Variante als die (eventual-) vorsätzliche Verursachung der Verletzung von D. Für eine solche ist kein Motiv ersichtlich; es sprechen für sie weder das frühere Verhalten des Beschwerdeführers, noch sein Aussageverhalten, noch die Einschätzung des Beschwerdeführers durch seine Vorgesetzten und seine Arbeitskollegen, noch ein anderes Indiz. Das Verhalten des Beschwerdeführers ist zwar als verwerflich einzustufen, weil er seine Sorge um seine eigene Lehrabschlussprüfung vor das ehrliche Einstehen für ein Fehlverhalten gestellt hat. Dies ist aber nicht gleichzusetzen mit der vorsätzlichen Begehung einer Straftat. Es bleiben dermassen viele Zweifel an der (eventual-) vorsätzlichen Verübung einer Körperverletzung, dass kein Schuldspruch ergehen darf (E. 2.5).  

Ob eine fahrlässige Tatbegehung von der Anklage erfasst ist, wird sich im Neubeurteilungsverfahren zeigen müssen. Falls nicht: Freispruch.