Willkürliche Strafe
Das Bundesgericht wirft dem Obergericht AG vor, einen Täter viel zu hart bestraft zu haben (BGer 6B_567/2017 vom 22.05.2018). Dieser hatte einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem zwei Personen starben und zwei weitere sowie der Täter selbst schwer verletzt wurden.
Obwohl sie die Strafe der ersten Instanz von 11 auf 8 Jahre reduziert hat, hat die Vorinstanz etliche Fehler. alle zuungunsten des Täters gemacht:
Hingegen ist dem Beschwerdeführer zuzustimmen, dass die hypothetische Einsatzstrafe von 8 Jahren unter den gegebenen Umständen eindeutig zu hoch erscheint. Dies nicht zuletzt im Vergleich mit ähnlich gelagerten Fällen (vgl. BGE 130 IV 58; Urteile 6B_411/2012 vom 8. April 2013; 6B_168/2010 vom 4. Juni 2010). Es ist insbesondere zu beachten, dass die gesetzliche Mindeststrafe von 5 Jahren das für die Taterfüllung notwendige Unrecht – den Tod eines Menschen – schon beinhaltet. Der Beschwerdeführer hat zudem “nur” eventualvorsätzlich gehandelt, was das Tatunrecht in einem milderen Licht erscheinen lässt, als bei direktem Vorsatz. Dies bedenkt die Vorinstanz zwar. Sie berücksichtigt diesem Umstand aber im Rahmen der Strafzumessung nicht gebührend, zumal gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung bereits bei der Annahme vorsätzlichen Handelns Zurückhaltung geboten ist (oben E. 2.1.2). Der Beschwerdeführer rügt ferner zu Recht, dass es nicht angeht, die Tatumstände, welche bereits zur Begründung des Tatbestands herangezogen wurden, namentlich das rücksichtslose Verhalten, das grosse Risiko und dessen Verwirklichung, bei der Strafzumessung erneut strafschärfend zu gewichten bzw. das mittelschwere Verschulden damit zu begründen. Ebenfalls zutreffend ist der Einwand, wonach sein Verschulden geringer zu gewichten ist als beispielsweise bei einem Strassenrennen mit fortgesetzten Verkehrsregelverstössen oder Raserfahrten innerorts, welche von grosser Gleichgültigkeit gegenüber den Interessen Dritter zeugen. Dem angefochtenen Entscheid lässt sich zum Motiv hinsichtlich des waghalsigen Überholmanövers nichts entnehmen. Es ist daher, anders als bei einem Rennen, neutral zu werten. Die im mittleren Bereich des möglichen Strafrahmens bis zu 20 Jahren angesetzte Einsatzstrafe wird den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht. Sie ist daher nicht mehr vom sachrichterlichen Ermessen gedeckt (BGE 136 IV 55 E. 5.6 S. 61; 135 IV 130 E. 5.3.1 S. 134; 134 IV 17 E. 2.1 S. 19; je mit Hinweisen) [E. 4.3].
Abgesehen von den peinlichen technischen Fehlern war das Strafmass für aargauische Verhältnisse gar nicht so ausserordentlich hoch; für das Bundesgericht aber immer noch deutlich zu hoch.
“Auf der Ausserortsstrecke soll er trotz eingeschränkter Sicht infolge starken Nebels und bevorstehender Rechtskurve mit stark überhöhter Geschwindigkeit zwei Autos überholt haben, ohne nach dem Überholen des ersten Fahrzeugs auf die Normalspur zurückzukehren. In der Folge kam es ca. 200 Meter nach Beginn der durchgezogenen Sicherheitslinie bei einer Geschwindigkeit von mindestens 133 km/h zur Frontalkollision mit einem korrekt entgegenkommenden Fahrzeug. Zwei Insassen dieses Fahrzeugs wurden getötet und zwei weitere sowie X.________ schwer verletzt.”
Nun denn. Eventualvorsatz bejaht, mehrfache Begehung, Strafrahmen 5 bis 20 Jahre. Inwiefern 8 Jahre Einsatzstrafe im “mittleren Bereich des Strafrahmens” liegen soll erschliesst sich mir nicht.
Der wahre Grund dürfte aber hier liegen:
“Sie berücksichtigt diesem Umstand [‘”nur” Eventualvorsatz’] aber im Rahmen der Strafzumessung nicht gebührend, zumal gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung bereits bei der Annahme vorsätzlichen Handelns Zurückhaltung geboten ist.”
Das Bundesgericht verweist auf das gute alte übergesetzliche Strafzumessungskriterium “verbleibende letzte Zweifel an der Tatbestandsmässigkeit”? Da wäre ich mal eher vorsichtig mit der Willkürkeule.
Ist “nicht mehr vom sachrichterlichen Ermessen gedeckt” strafzumessungsrechtlich nicht Willkür?
Das Bundesgericht kann oder will sich nicht an die eigene Rechtsprechung erinnern. Ebenfalls den Kanton Aargau betreffend hatte es noch im Jahre 2013 entschieden (nota bene mit zwei Bundesrichtern, die nun ebenfalls mitgewirkt haben), dass an einer Strafe von 7 Jahren Freiheitsstrafe und 180 Tagessätzen Geldstrafe in einem Fall, wo bei einem waghalsigen Überholmanöver ein Motorradfahrer getötet worden ist, nichts zu beanstanden sei (BGer 6B_682/2013). Und nun soll die Strafe von 8 Jahren bei zwei Toten und zwei Schwerverletzten “deutlich zu hoch” sein? Das ist schwer nachvollziehbar. Im vorliegenden Fall ist zudem noch eine qualifiziert grobe Widerhandlung gegen das SVG hinzugekommen. Natürlich darf das Bundesgericht der Meinung sein, die Strafe sei zu hoch. Aber es soll dann doch gleich die leeren Phrasen weglassen, die kantonalen Gerichte würden über ein grosses Ermessen verfügen. Und vor allem: Ist das Bundesgericht nicht in der Lage, selber zu sagen, wie hoch denn hier nun die nicht willkürliche Strafe wäre? Eigenartig auch der vom Bundesgericht verwendete Terminus “strafschärfend”. Spricht man davon nicht dann, wenn der ordentliche Strafrahmen verlassen wird? Das war hier nicht der Fall. Ebenfalls eigenartig: In anderen Fällen betont das Bundesgericht jeweils, dass die Berücksichtigung des Ausmasses eines qualifizierenden oder tatbestandsbegründenden Umstands keine unzulässige Doppelverwertung darstelle (z.B. bei der Berücksichtigung der Skrupellosigkeit beim Mord, bei der Gewerbsmässigkeit beim Diebstahl oder der Bandenmässigkeit bei BetmG-Widerhandlungen). Ist es so falsch, das Ausmass des rücksichtslosen Verhaltens und das Ausmass des eingegangen Risikos zu berücksichtigen, denn dieses kann doch unterschiedlich hoch sein. Gilt aber offensichtlich nur dann, wenn die Bundesrichter das wollen. Bundesgerichtliche Willkür?