Willkürkognition und antizipierte Beweiswürdigung als Totengräberinnen der Unschuldsvermutung
Das Bundesgericht schützt in BGer 6B_165/2009 vom 10.07.2009 die Verurteilung eines Ehemanns, der seine Ehefrau sexuell genötigt (Art. 189 StGB) haben soll. Als Beweismittel dienten offenbar allein die Aussagen der Ehefrau, welche als glaubhaft qualifiziert wurden, obwohl die Vorinstanz die Ehefrau nicht befragte.
Gemäss Bundesgericht stellt dies kein Problem dar:
Die Vorinstanz hat auf eine gerichtliche Einvernahme der Geschädigten verzichtet, weil sie ihre Überzeugung aufgrund bereits abgenommener Beweise gebildet hat. Sie konnte ohne Willkür annehmen, ihre Überzeugung werde durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert. Diese vorweggenommene Beweiswürdigung stellt keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar (vgl. BGE 134 I 140 5.3 S. 148 mit Hinweisen) (E. 2.6.1).
Die Abweisung der Beweisanträge des Beschwerdeführers war ebenfalls unbedenklich:
Die Geschädigte hat sich aus Angst vor Schlägen nicht gewehrt und wegen den Kindern nicht laut geschrien. Zudem ist den Aussagen zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer eine Creme verwendete. Vor diesem Hintergrund erscheint es entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht als unmöglich, dass die anale Vergewaltigung gemäss Schilderung der Geschädigten erfolgte und nicht zu schweren Verletzungen führte. Die vorweggenommene Beweiswürdigung der Vorinstanz erweist sich demnach nicht als willkürlich (E. 2.6.2).
Zur Unschuldsvermutung und zur Glaubhaftigkeit von Aussagen ist dem Entscheid nicht viel mehr zu entnehmen, als dass die folgende vorinstanzliche Beweiswürdigung willkürfrei ist:
Die Vorinstanz hält die Aussagen der Geschädigten als glaubhaft und diejenigen des Beschwerdeführers als nicht überzeugend. Zwar seien die Aussagen der Geschädigten betreffend Zeitpunkt des sexuellen Übergriffs zunächst nicht eindeutig gewesen. Bei der polizeilichen Einvernahme habe sie angegeben, es sei “vergangenes Jahr” gewesen. Im Rahmen der Zeugeneinvernahme, welche unter Beizug eines Dolmetschers durchgeführt worden sei, habe sie September 2005 genannt. Da die sprachliche Kompetenz der Geschädigten im Schweizerdeutsch nicht einwandfrei sei, verweise die Bezeichnung “vergangenes Jahr” nicht zwingend auf das Jahr 2004. Deshalb sei es als erstellt zu erachten, dass sich der Vorfall im September 2005 ereignet habe. Die Sachverhaltsschilderung der Geschädigten ergebe ein in sich stimmiges und realistisches Gesamtbild, welches durch Zeugenaussagen gestützt würde. Ihre Aussagen seien im Kerngeschehen konstant und die Einzelheiten in der Darstellung liessen die Schilderung als glaubhaft und lebensnah erscheinen. Die Geschädigte könne sich daran erinnern, aufgrund des Druckes durch den Beschwerdeführer immer mehr gegen die Badewanne gerutscht zu sein. Die Erklärung, wegen den Kindern nicht laut geschrien zu haben, sei ein plausibles Detail. Auch die Erwähnung, der Beschwerdeführer habe eine Creme verwendet, erscheine als realistisches Detail. Dass die Geschädigte im Verlaufe der Untersuchung eingeräumt habe, auch nach dem geltend gemachten sexuellen Übergriff einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, vermöge die Glaubhaftigkeit der Sachverhaltsschilderung nicht wesentlich zu schmälern. Es sei davon auszugehen, dass die Geschädigte im Verlaufe ihrer Ehe mehrfach belastende Situationen ausgestanden und sich bemüht habe, die eheliche Beziehung bzw. die Familie nicht aufzugeben. Dass die Geschädigte ihren Ehemann habe loswerden wollen, um sich für eine neue Beziehung freizumachen, sei als Motiv für eine falsche Anschuldigung kaum überzeugend. Sie habe nicht wegen einer sexuellen Nötigung, sondern wegen des Streites mit dem Beschwerdeführer vom 22. November 2005 bzw. der dabei ausgestossenen Drohung Anzeige erstattet. Erst auf Frage durch den einvernehmenden Polizisten sei das andere Thema angesprochen worden. Es erscheine als sehr unwahrscheinlich, dass sie spontan den Entschluss gefasst habe, den Beschwerdeführer eines sexuellen Übergriffs zu beschuldigen. Zudem sei zum damaligen Zeitpunkt noch kein Eheschutzverfahren hängig gewesen. Die Geschädigte habe ausgeführt, dass sie vom Beschwerdeführer zuweilen geschlagen worden sei und deshalb Angst gehabt habe, im Falle eines Widerstandes gegen die sexuelle Nötigung zusammengeschlagen zu werden. Aus Zeugenaussagen gehe klar hervor, dass die Geschädigte von Schlägen des Beschwerdeführers im Verlauf der Ehe berichtet habe. Es sei abwegig, dass die Geschädigte gegenüber den Verwandten ihres Mannes zu Unrecht von Schlägen berichtet haben soll. Schliesslich sei der Umstand, dass die Geschädigte verschiedentlich vor der Antwort habe überlegen müssen, kein Hinweis auf die fehlende Spontanität ihrer Aussagen bzw. eine Falschaussage. Die Unterbrüche liessen sich vielmehr dadurch erklären, dass die im Gastgewerbe tätige Geschädigte nicht gewohnt bzw. fähig sei, sich sprachlich auszudrücken. Zudem habe sie intimste Dinge preisgeben müssen, was ihr zweifellos unangenehm gewesen sei (E. 2.1).
Mir ist das alles viel zu einfach. Im Kerngeschehen konstante und lebensnahe Schilderungen gespickt mit zwei drei plausiblen Details kriegt doch wohl jeder halbwegs intelligente Mensch hin. Das reicht dann im kantonalen Haupt- und Rechtsmittelverfahren schon, denn das Bundesgericht schreitet nur bei Willkür ein, was auf das Hauptverfahren vorwirkt und die Beweislast umkehrt. Wenn dann auch noch die Beweisanträge des Beschuldigten abgewiesen werden, kann von einem fairen Verfahren m.W. nicht mehr gesprochen werden.
Es mag sein, dass der Beschwerdeführer tatsächlich schuldig ist. Es mag sein, dass das Urteil des Bundesgerichts aufgrund der Willkürkognition richtig ist. Aber dass die Anklägerin wirklich einen Beweis “beyond reasonable doubt” geführt hat, kann kaum mit Fug behauptet werden.