Wirtschaftsfaktoren: Pädophile und Drogendealer
Gestern hat der Kantonsrat SO wie erwartet das neue Polizeigesetz gegen den Widerstand von bürgerlicher Seite verabschiedet. Das Gesetz sieht u.a. verdeckte “Vorermittlungen”, verdeckte Fahndung, automatisierte Fahrzeugfahndung und elektronischen Datenausgleich vor (vgl. die Vernehmlassung des SolAV)
Ein offenbar besonders heller Kopf wird in der Presse wie folgt zitiert:
Im selben Votum teilte er übrigens relativ heftig gegen die Freisinnigen aus, die unter Wirtschaftsförderung wohl verstünden, «Pädophile oder Drogendealer» im Kanton walten zu lassen.
Der im übrigen durchaus sympathische Kanton Solothurn zeichnet sich ja unter anderem dadurch aus, dass er immer wieder mal etwas anders tickt als die Rest-Schweiz. So auch hier. Während bei der Verschärfung von Polizeigesetzes und ähnlichen Erlassen in den Kantonen (wie kürzlich im Kanton Bern) regelmässig die Linke gegen Eingriffe in die Grundrechte Sturm läuft und die bürgerliche Seite – wenn auch ohne grosse Begeisterung, aber immerhin – zustimmt, ist es hier gerade umgekehrt. Wirklich bemerkenswert. Und was den Ausspruch des SP-Kantonsrates und Gewerkschaftssekretärs aus dem Bezirk Gösgen angeht, so ist mildernd zu berücksichtigen, dass es dieser ja vielleicht lustig gemeint hat; es gibt nun mal Leute, die mit einem etwas speziellen Humor gesegnet sind….
@Jürg Fehr: Das fand ich auch bemerkenswert. Es hatte wohl v.a. auch damit zu tun, dass die Vorlage aus der Küche eines rot geführten Departements kam.
Wenn das neue Polizeigesetz Polizist/innen ermöglicht im Internet zu ermitteln bzw. fahnden (und offenbar auch sich als Minderjährige auszugeben, um Pädophile “anzulocken”?): Wie wird dann sichergestellt, dass die Ermittlung/Fahndung einen Bezug zum Kanton Solothurn hat? Die Personen gegen die (ohne Anfangsverdacht) ermittelt wird, können ja irgendwo sein ebenso wie die Server und die potenziellen Opfer (wobei es gar keine Opfer gibt, wenn Polizist/innen nur so tun als seien sie Minderjährige). Wenn meine Überlegung richtig ist, hat das neue Polizeigesetz wenig damit zu tun, Pädophile etc. im Kanton Solothurn walten zu lassen bzw. ob gegen jemanden ermittelt wird, der im Kanton Solothurn wohnt, wäre ja Zufall und liesse sich erst im Nachhinein feststellen. Oder übersehe ich etwas?
Mir ist als ehemaligem Solothurner Kantonsrat (2001 – 2012) und langjährigem Fraktionspräsident der SP (2003 – 2010) ist fast der Kitt aus der Brille geflogen, als ich gelesen habe, welche Haltung die SP bei diesem Geschäft eingenommen und wichtige Prinzipien des Grundrechtsschutzes nonchalant auf den Komposthaufen geworfen hat. Dies übrigens, nachdem sie ja schon 2013 die etwas weniger weitgehende Teilrevision des Polizeigesetzes abgenickt hatte. Das könnte dereinst ein böses Erwachen geben.
Zur Psychologie des Entscheidungsprozesses vier Überlegungen:
– Es mag sicher eine Rolle gespielt haben, dass die Polizeidirektorin ihre Mitgliederbeiträge an die SP entrichtet. Viele Kantonsräte geben nun mal lieber ihre Prinzipien (so denn noch welche vorhanden sind) auf als ihr Lakaientum gegenüber Exekutivmitgliedern der eigenen Partei. Eine alttestamentarische Loyalität feiert hier offenbar Urständ: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.
– Interessant ist zudem, dass die Präsidentin des Polizeibeamtenverbandes SP-Kantonsrätin ist und die Vorlage wacker verteidigt hat als Grosserfolg für alle Schwachen und Frauen.
– Dann ist festzuhalten, dass die Gesetzesbotschaft des Regierungsrates äusserst geschickt, vielleicht sogar unlauter aufgebaut war. Wortreich wurde dargelegt, man brauche wirksamere
Instrumente um im Internet gegen Pädophile, Menschenhändler und das organisierte Verbrechen vorzugehen. Wer kann da schon dagegen sein. Wohl bewusst verschwiegen wurde, dass mit der beantragten Gesetzesrevision erstens alle noch vorhandenen Schranken beiseite geräumt werden sollten und das es zweitens nicht nur die wenigen in der Botschaft aufgeführten Delikte betreffen sollte. Und offensichtlich haben sich nicht einmal die Mitglieder der vorberatenden Kommission die Mühe gemacht, den Gesetzestext zu lesen und begleitend StGB und StPO zu konsultieren.
– Schliesslich betonte die Botschaft, man könne mit diesen Instrumenten mögliche Verbrechen im Ansatz bekämpfen bzw. präventiv verhindern. Das ist natürlich blanker Unsinn – und übrigens im Gesetz auch gar nicht so vorgesehen, aber: Prävention kommt bei der SP immer supergut an. Politik ist nun mal wie Schlager: Man muss die Botschaft so nivellieren, dass alle sie gut finden.
Fazit: Entsorgung des Grundrechtsschutzes – im Kanton Solothurn rasch und easy.