Wirtschaftsstrafprozesse mit reinigender Wirkung?
Der Schweizerische Beobachter veröffentlicht hier in interessantes Interview mit einem für Wirtschaftsdelikte verantwortlichen Staatsanwalt. Der Beitrag steht unter der treffenden Überschrift “Für Manager ist bereits die Untersuchung Teil der Strafe”. Man könnte diesen Satz durchaus noch zuspitzen. Zunächst muss man nicht Manager sein, um sich allein schon durch eine Strafuntersuchung bestraft zu fühlen. Im Weitern ist es erfahrungsgemäss so, dass die Untersuchung (Hausdurchsuchungen und insbesondere Untersuchungshaft) in der Regel als wesentlich belastender empfunden wird, als die im schlimmsten Fall zu erwartende Strafe. Abschreckende und vor allem stigmatisierende Wirkung hatten doch wohl nie die Strafen, sondern die Verfahren. Dies bestätigt im Prinzip folgende Aussage aus dem Interview:
Ich bin aber überzeugt, dass alleine schon die Tatsache, dass auch solche Monsterprozesse geführt werden, eine reinigende Wirkung hat. Oft ist nämlich für Manager bereits die Strafuntersuchung Teil der Strafe, denn durch die Medienberichterstattung stehen sie monate- wenn nicht jahrelang in der öffentlichen Kritik. Das lässt niemand gerne über sich ergehen. Diese unerlässlichen Abläufe sind für potentielle Täter abschreckend.
So kann man es sehen, ja. Das Verfahren ist Teil der Strafe. Auf das Urteil kommt es gar nicht mehr an. Auch der Freigesprochene hat einen Teil der nicht verdienten Strafe gekriegt. Das zeigt, dass etwas nicht stimmen kann.Die Ankläger haben m.E. nicht reinigende Wirkung – und schon gar nicht auf Kosten Unschuldiger (als unschuldig gilt ja in der Theorie jeder, der vor dem Staatsanwalt steht) zu erzeugen. Sie haben einen objektivierbaren Tatverdacht zu untersuchen. Dazu werden sie mit schier unerschöpflichen Machtmitteln ausgestattet, die in keinem Verhältnis zur Ausbildung stehen, die sie als Strafverfolger haben. Die meisten Staatsanwälte haben vor Antritt ihres Amts nie auch nur ein Praktikum im Bereich der Strafverfolgung absolviert. Für viele ist es die erste Stelle zu Beginn ihrer beruflichen Karriere überhaupt.
Damit ist nicht gesagt, dass sie mit dem Einsatz von Zwangsmassnahmen unverantwortlich umgehen müssen. Aber sicher ist, dass sie Fehler machen – Fehler, die für die Betroffenen nicht wieder gutzumachen sind. Ausbildung und auch eine Art Qualitätsmanagement wären dringend erforderlich. Qualität wäre relativ einfach herzustellen, in erster Linie durch vorgängige richterliche Kontrolle aller vorgesehenen Zwangsmassnahmen (Richtervorbehalt). Dass dies allein nicht genügt, zeigen die zahlreichen Hafturteile des Bundesgerichts, das immer wieder Fehler (nachträglich) feststellen muss.
Sie unterschlagen beim zitieren unter anderem die (Fang-)Frage, die dem Interviewten gestellt wurde, ebenso wie einen Teil der Antwort:
Frage: “Will man kriminell werden, macht man es also besser als Manager im grossen Stil denn als kleiner Betrüger.”
Anwort: “Zu diesem Schluss könnte man kommen. Ich bin aber überzeugt, dass alleine schon die Tatsache, dass auch solche Monsterprozesse geführt werden, eine reinigende Wirkung hat. Oft ist nämlich für Manager bereits die Strafuntersuchung Teil der Strafe, denn durch die Medienberichterstattung stehen sie monate- wenn nicht jahrelang in der öffentlichen Kritik. Das lässt niemand gerne über sich ergehen. Diese unerlässlichen Abläufe sind für potentielle Täter abschreckend.”
Mit anderen Worten supponiert die Frage die kriminelle Absicht des Angeschuldigten, was der Antwort dann die gewünschte Headline-Tauglichkeit gibt.
Ihre weiteren Ausführungen haben sicher einiges für sich, die zitierte Passage gibt aber eigentlich nur aus dem Kontext gerissen etwas in dieser Richtung her. Die Frage – im Zusammenhang des Interviews gelesen – war ja eigentlich: “Schreckt das Strafrecht überhaupt noch den kriminellen Topmanager ab, wo er doch im Gegensatz zum Kleinkriminellen kaum mit einer Verurteilung rechnen muss?” Die Anwort: “Ja, weil sie durch das Verfahren weit mehr belastet würden als der Kleinkriminelle.”
Rechtspolitisch wird man sagen müssen “zum Glück”, und rechtsstaatlich wird man es wohl hinnehmen müssen. Solange eben auch sonst nicht alle Menschen gleich sind, werden sie es vor dem Recht auch nie restlos sein.
Man möge es mir nachsehen (immerhin habe ich den Aritkel verlinkt).
Ihre Ausführungen sind im Hinblick auf ein ganz anderes Thema interessant. Sie zeigen, dass man eine Antwort nur im Zusammenhang mit der entsprechenden Frage würdigen sollte. Das ist ja eigentlich eher banal. Trotzdem stützen Strafrichter ihre Urteile nicht selten auf Aussageprotokolle ab, welche nur die Antworten, nicht aber die Fragen enthalten.