Zeitliche Unschärfen der Anklage
In BGer 6B_830/2008 vom 27.02.2009 erhält das Bundesgericht wieder einmal Gelegenheit, sich zum Anklageprinzip zu äussern. Der Entscheid kann als Kurzzusammenfassung der bisherigen Rechtsprechung dienen.
Gerügt hatte der Beschwerdeführer zeitliche Unschärfen der Anklage. Damit kam er allerdings nicht durch, weil die übrigen Sachverhaltsangaben den Mangel aufwogen:
Diese Vorwürfe sind in sachlicher und örtlicher Hinsicht detailliert umschrieben, was eine hinreichende Individualisierung der zu beurteilenden Taten erlaubt und die relative zeitliche Unbestimmtheit der Anklage aufzuwiegen vermag. Der Beschwerdeführer wurde somit in seinen Verteidigungsrechten nicht massgeblich eingeschränkt, das Fairnessprinzip mithin nicht verletzt (E. 2.4).
Diese Rechtsprechung ist je nach Sachverhalt wenig überzeugend, weil zeitliche Unschärfen beispielsweise den Alibibeweis des Beschuldigten verunmöglichen. Da nützt es ihm wenig, wenn der Vorwurf im Übrigen detailliert umschrieben ist.
Sie haben ja so recht, Herr Jeker! Aber das bringt Ihnen höchstens akademische Anerkennung ein, denn das Bundesgericht – vor allem die jetzige Besetzung der Strafrechtlichen Abteilung – beugt das Recht, wie es will, um das gewünschte Urteil zu erhalten.
Aber da niemand ausspricht, dass Rechtsbeugung den Straftatbestand des Amtsmissbrauchs erfüllt und die Strafverfolgung von Richtern praktisch nie stattfindet, wird sich daran nichts ändern.
Und insgeheim belächeln diese Damen und Herren Richter ihre handzahmen Kritiker sogar, weil die zurückhaltende Kritik servile Unterwürfigkeit ausstrahlt. So gesehen stützen diese Kritiker das geschilderte Unrecht; man will als praktizierender Strafverteidiger ja nicht den Zorn der mächtigen Richterlobby auf sich ziehen, nicht wahr?
Aus diesem Grund erwarte ich auch nicht, dass Sie diesen Kommentar veröffentlichen, Herr Jeker, aber Sie degradieren sich selber zum moralischen Komplizen dieser korrupten Bande.
Und jetzt? was schlagen sie denn vor? Die Kritik mit Schimpfwörtern zu garnieren, damit sie nicht so servil daher kommt?
Stellt es eine Beschimpfung dar, auszusprechen, dass Richter, welche absichtlich das Recht missachten, den Verdacht des Amtsmissbrauchs begründen? Stellt es eine Beschimpfung dar, zu fordern, dass das geltende Strafrecht auch auf Richter angewendet wird?
Die Anwaltsverbände – bzw. deren Mitglieder, die Anwälte – hätten genug politischen Einfluss, die konsequente Strafverfolgung krimineller Richter sowie deren lebenslange Entfernung aus dem Richteramt zu fordern. Diese Forderungen sind eine Selbstverständlichkeit, sofern die Begriffe Rechtsstaat und Rechtsgleichheit nicht nur Worthülsen bleiben sollen. Meines Wissens sind Sie, Herr Jeker, Mitglied des solothurnischen Anwaltsverbandes …
Aber warum sollten sich die Anwälte für die Durchsetzung des geltenden Rechts einsetzen und sich damit unnötig exponieren? Schliesslich leben die meisten nicht schlecht von ihren Anwaltshonoraren. Und in Fällen amtlicher Vertretung besteht ja die Gefahr, dass derjenige Richter, welcher vom Anwalt kritisiert wird, dessen Anwaltshonorar kürzt, weil nämlich jener darüber entscheidet. Dieses heimliche Disziplinarmittel hat die Schweizer Justiz listig ausgeheckt.
Gleiches bezweckt die standesrechtliche Vorschrift, wonach sich Anwälte nur “gebührlich” äussern dürfen. Damit wird dem Anwalt jede Möglichkeit genommen, Amtsmissbräuche und Lügen von Richtern als solche zu bezeichnen, weil dies als ungebührlich qualifiziert wird.