Zu aufwändig verteidigt?
In einem Strafverfahren im Kanton Aargau wurde dem amtlichen Verteidiger erstinstanzlich ein Honorar von ca. CHF 23,000.00 zugesprochen. Dagegen führte die Staatsanwaltschaft Anschlussberufung und verlangte die Halbierung des Honorars. Das Obergericht kürzte dann doch “nur” um CHF 10,000.00. Dafür kürzte es die Kostennote im Berufungsverfahren von ca. CHF 15,000.00 auf CHF 2,200.00. Damit hat es den Anspruch insgesamt um über CHF 20,000.00 gekürzt. Die dagegen geführte Beschwerde heisst das Bundesstrafgericht mit kurzer Begründung gut (BStGer BB.2016.93 vom 08.09.2016).
Zur Kürzung des erstinstanzlichen Honorars:
Aus dem Dargelegten geht hervor, dass der Beschwerdegegner den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Zeitaufwand bloss im Verhältnis zum Aufwand des im selben Prozess tätigen amtlichen Verteidigers hinsichtlich der Anzahl in Rechnung gestellten Stunden als zu hoch erachtet. Ein solcher Quervergleich kann zwar nützlich sein, allerdings bestehen bei jedem Mandat Unterschiede, welche zu einem anderen Zeitaufwand führen können (z.B. die allgemeine Prozessstrategie, Initiative/Fragen des Klienten, unterschiedliche Anreiserouten usw.). Der Beschwerdeführer hat seinen Aufwand für die Mandatsführung in allen Einzelheiten ausgewiesen (vgl. act. 1.3), weshalb der Beschwerdegegner unter dem Gesichtspunkt von Art. 29 Abs. 2
BV verpflichtet gewesen wäre, sich damit auseinanderzusetzen und in Bezug auf die konkreten, geltend gemachten Aufwendungen des Beschwerdeführers nachvollziehbar darzulegen, aus welchem Grund es diese als sachfremden oder übertriebenen Aufwand nicht entschädigt bzw. inwiefern der geltend gemachte Zeitaufwand zum Umfang und zur Schwierigkeit des Falles in einem offensichtlichen Missverhältnis steht (vgl. Urteil des Bundesgerichts 6B_121/2010 vom 22. Februar 2011, E. 3.1.4). Der Beschwerdegegner beschränkt sich in der Begründung darauf hinzuweisen, dass die Rechtsfragen im Vergleich zum Mitbeschuldigten die gleichen waren und die Urteile identisch ausgefallen seien. Im Unterschied zum Mitbeschuldigten seien lediglich der Beizug der Asylakten sowie die Verfassung von diversen Besuchsbewilligungen bei der Bemessung der Entschädigung zu beachten. Eine Auseinandersetzung mit den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Punkten fehlt jedoch.
Nach dem Gesagten erweist sich die Begründung des Beschwerdegegners als unzureichend. Er hat das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt. Eine Heilung der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist vorliegend ausgeschlossen (zu den Voraussetzungen vgl. BGE 129 I 129 E. 2.2.3; 126 I 68 E. 2; je mit Hinweisen), da der Beschwerdegegner im Rahmen der Beschwerdeantwort auf eine weitergehende Begründung verzichtet hat (act. 3). Die Beschwerde ist somit in diesem Punkt gutzuheissen und zur neuen Entscheidung an den Beschwerdegegner zurückzuweisen (E. 3.5).
Zur Kürzung im Berufungsverfahren:
Aus dem Dargelegten geht hervor, dass der Beschwerdegegner sich mit der vom Beschwerdeführer eingereichten Honorarnote nicht im Sinne der massgebenden Rechtsprechung (…) auseinandergesetzt hat (er hat auch kein ein offensichtlichen Missverhältnis zwischen geltend gemachten Zeitaufwand zum Umfang und zur Schwierigkeit des Falles, welches eine pauschale Bemessung rechtfertigen würde, behauptet). Mithin ist der Beschwerdegegner auch betreffend die zweitinstanzliche Entschädigung des Beschwerdeführers ihrer Verpflichtung aus Art. 29 Abs. 2 BV nicht nachgekommen (E. 3.7).
Da darf man gespannt sein, wie das Obergericht nachlegen wird.
Im Entscheid des Bundesgerichts ist zu lesen, dass namentlich unterschiedliche Anreiserouten zu einem unterschiedlichen Zeitwaufwand führen könne. Das leuchtet jedem amtlichen Verteidiger ein. Trotzdem wird in gewissen Kantonen noch immer standhaft die Meinung vertreten, dass die Reisezeit des Anwalts grundsätzlich nicht als Arbeitszeit gelte (allenfalls mit sehr knappem Zuschlag).
Ich war neulich an einer Einvernahme innerhalb des Kantons. Wegzeit mit dem Auto: 45 min. (einfach). Die einvernommene Person hat die Aussage verweigert und die Einvernahme war nach 10 Minuten um. Inkl. Rückreise war ich demnach 1 Stunde und 40 Minuten unterwegs. Aufschreiben durfte ich 10 Minuten. Immerhin zum reduzierten Ansatz…
Das nächste Mal schicke ich den Praktikanten (auch wenn hier nur das halbe Honorar aufgeschrieben werden darf, also 5 statt 10 Minuten…).
So geht das.
Noch viel stossender ist der vorinstanzliche Entscheid (der gleichen Vorinstanz) in Sachen BB.2016.91 vom 27. Juli 2016. Nun versuchen die Gerichte sogar, die Kürzung des Honorars als Korrektur “zugunsten der beschuldigten Person” i.S.v. StPO 404 II darzustellen. Glücklicherweise gibt das Bundesstrafgericht da Gegensteuer und akzeptiert solche Kürzungen nicht.
Die Sicht eines zur Rückzahlung verpflichteten Verurteilten ist freilich eine andere. Fr. 20’000 mehr oder weniger zurückzahlen zu müssen ist nicht einfach egal. Amtliche Verteidiger machen zwar zweifellos viel und manchmal sehr viel für ihre Klienten. Wie viele der Verurteilten wurden von den amtlichen Verteidigern aber darüber aufgeklärt, dass sie im Falle einer Verurteilung oder Abweisung des Rechtsmittels grundsätzlich alle diese Kosten selber zurückzahlen müssen, sobald es ihre finanziellen Verhältnisse zulassen? Eigenartigerweise werden die betroffenen Verurteilten im Verfahren vor Bundesstrafgericht nicht einmal angehört.
Aufklärung der Klienten dürfte hier die Regel sein, zumal jeder Anwalt sehr an alternativen Finanzierungen interessiert sein müsste. In der Praxis interessiert die Rückzahlungspflicht aber die meisten Klienten, die im entscheidenden Moment völlig andere Sorgen haben, nicht.
Frage: Kann mir jemand erklären, weshalb die Honorarnote eines amtlichen Verteidigers regelmässig massiv höher ist als die eines privaten Verteidigers?
Antwort: Es herrscht das gleiche Grundproblem wie bei den Krankenkassen. Der Dienstleistungserbringer (Verteidiger) kann seine Honorarnote dem Staat einreichen. Er ist folglich nicht an einer kostengünstigen Verteidigung interessiert. Der Beschuldigte will ebenfalls die bestmögliche Verteidigung. Auch er ist in der Regel nicht an einer kostengünstigen Verteidigung interessiert, zumal in (geschätzten) 95% der Fälle eine Rückerstattung der Kosten durch den Beschuldigten mangels Finanzmittel nicht in Frage kommt.
Fazit: Es braucht dringend eine Korrektur. Die amtliche Verteidigung sollte sich auf eine Minimalverteidigung beschränken. Die amtliche Verteidigung ist keine staatliche Vollkasko-Versicherung. Im heutigen System ist nämlich derjenige der Geprellte, der seine Verteidigung aus dem eigenen Sack bezahlen muss. Er – und nur er – ist an einer effizienten und kostengünstigen Verteidigung interessiert.
Dass die Kostennoten der amtlichen Verteidiger höher sein sollen, wage ich zu bestreiten. Es gäbe aber schon Gründe für aufwändigere Verteidigung. Massstab bei der Verteidigung sind die gesetzlichen Sorgfaltspflichten der Anwälte. Ist mein privat verteidigter Klient einverstanden, kann ich ohne Weiteres auf an sich notwendige Verteidigungshandlungen verzichten, weil sie dem Klienten zu teuer sind. Er hofft, dass es auch ohne geht. Wenn er meine Rechnungen nicht bezahlt, kann ich meine Verteidigung sogar einstellen oder mein Engagement stark zurückfahren (hier beginne ich aber bereits, meine Bewilligung aufs Spiel zu setzen) Bei der amtlichen Verteidigung denkt der Klient tatsächlich anders und erwartet von mir alles, was sich positiv auf seine Situation auswirken könnte. Die Rückforderung ist ihm egal.
Der Ansatz mit der Minimalverteidigung ist schon deshalb untauglich, weil es nicht möglich sein wird, was verzichtbar und was unverzichtbar ist.
Was ich nicht verstehe: wieso sind die Kosten der Verteidigung Stein des Anstosses? Sie sind im Vergleich zu den effektiven Verfahrenskosten und zu den Vollzugskosten (welche die Verteidigung zu verhindern sucht) geradezu lächerlich klein. Auch deshalb ist der Vergleich mit dem Gesundheitssystem falsch.
Und eine Zusatzfrage: wieso versuchen wir es nicht mir einer Kürzung der Mittel bei den Anklägern? Die Ankläger sind um ein Vielfaches teurer als die Verteidiger.
Ich sehe gar nicht ein, wieso es überhaupt (amtlichen) Verteidiger/innen braucht. Die Strafbehörden untersuchen ja gemäss Art. 6 Abs. 2 StPO die belastenden und entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt. Vielleicht würden sie das ja sogar tun, wenn es keine Verteidiger gäbe.
Meine Rede, Malo. Das würde zudem die Richter eher in die verteidigende Rolle drängen, als Gegenposition zur Staatsanwaltschaft. Am Ende würde es sogar den Beschuldigten dienen.