(Zu) formalistische Basler Justiz

Heute hat das Bundesgericht seinen wohl letzten StPO-Grundsatzentscheid des Jahres 2015 ins Netz gestellt (BGE 6B_218/2015 vom 16.12.2015, Publikation in der AS vorgesehen). Anlass zum Entscheid gab eine Berufungserklärung, die nicht der Anwalt, sondern eine Kanzleiangestellte unterzeichnet hatte. Das empfand die Basler Justiz wohl als Majestätsbeleidigung und trat nicht ein. Vor Bundesgericht war sie sich nicht einmal zu schade, dem Anwalt Rechtsmissbrauch vorzuwerfen.

Das war dem Bundesgericht zu viel, zumal die Erklärung drei Tage vor Ablauf der Frist erfolgt war und genügend Zeit geblieben wäre, auf den Mangel hinzuweisen. Es hält an seiner Rechtsprechung auch unter der neuen StPO fest:

Der Formfehler bestand nicht in der fehlenden Begründung der Eingabe, sondern bloss in der fehlenden rechtsgültigen Unterschrift. Zudem reichte er die Berufungserklärung drei Tage vor dem Ablauf der Frist ein. Demnach liegen keine Hinweise vor, dass der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin bewusst von einer rechtsgültigen Unterschrift absah, um eine Nachfrist zu erwirken (…). Folglich hätte die Vorinstanz ihn auf den Mangel aufmerksam machen müssen. Hierfür wäre genügend Zeit verblieben, weil die Berufungserklärung der Vorinstanz am 29. August 2014 zuging und die Frist erst am 1. September 2014 ablief (…). Andernfalls hätte die Vorinstanz dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin eine kurze über die gesetzliche Rechtsmittelfrist hinausgehende Nachfrist für die gültige Unterzeichnung der Berufungserklärung ansetzen müssen. Der kantonale Nichteintretensentscheid ist aufzuheben (E. 2.4.9).

Dogmatisch begründet sich diese Rechtsprechung wie folgt:

Jedoch ist zu beachten, dass die Vorschriften des Zivilprozess-, Strafprozess- und Verwaltungsverfahrensrechts der Verwirklichung des materiellen Rechts zu dienen haben, weshalb die zur Rechtspflege berufenen Behörden verpflichtet sind, sich innerhalb des ihnen vom Gesetz gezogenen Rahmens gegenüber den Rechtssuchenden so zu verhalten, dass deren Rechtsschutzinteresse materiell gewahrt werden kann. Behördliches Verhalten, das einer Partei den Rechtsweg verunmöglicht oder verkürzt, obschon auch eine andere gesetzeskonforme Möglichkeit bestanden hätte, ist mit Art. 29 Abs. 1 BV nicht vereinbar (E. 2.4.3).