Zu Recht verweigerte Siegelung
Nach Art. 248 StPO sind Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach den Angaben der Inhaberin nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, zu versiegeln. Das Bundesgericht hatte sich in einem neuen Entscheid (BGer 1B_546/2012 vom 23.01.2013) zu Fragen um den Siegelungsentscheid. Seine Antworten sind einfach, eventuell sogar zu einfach. Es kommt zum Ergebnis, dass die Strafverfolgungsbehörde autonom darüber entscheidet, ob sie siegeln will oder nicht:
Die Durchsuchung von Aufzeichnungen (Art. 246 ff. StPO) und die Beschlagnahme (Art. 263 ff. StPO) sind Zwangsmassnahmen, welche von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden können (Art. 198 Abs. 1 lit. a StPO). Die Staatsanwaltschaft ist damit auch ohne Weiteres zuständig, über die Siegelung zu befinden. Erst der Entscheid über die Entsiegelung fällt in die Kompetenz der Gerichte (Art. 248 Abs. 3 StPO). Den Beschwerdeführerinnen in ihrer Argumentation zu folgen und die Auslegung von Art. 248 Abs. 1 StPO dem Gericht vorzubehalten, würde bedeuten, dass die Staatsanwaltschaft auf jedes Gesuch hin – jederzeit und auch wenn es von einer offensichtlich nicht berechtigten Person gestellt wird – die Siegelung vorzunehmen hätte. Für eine solche Auslegung enthält das Gesetz keine Anhaltspunkte (E. 2.2).
Damit ist eigentlich auch gesagt, dass die Staatsanwaltschft autonom entscheidet, ob sie ein Siegelungsgesuch als verspätet qualifizieren darf:
Dieser Antrag erfolgte indessen nicht in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Sicherstellung, sondern sehr viel später. Die Staatsanwaltschaft verletzte kein Bundesrecht, wenn sie die Siegelung ablehnte. Die Kritik der Beschwerdeführerinnen am angefochtenen Entscheid ist deshalb unbegründet (E. 2.3).
Das heisst nun also, dass die Siegelung verweigert werden kann, dieser Entscheid dann aber mit Beschwerde anfechtbar sein soll. In der Zwischenzeit ist der Rechtsschutz, den die Siegelung sicherstellen soll, nicht gewährleistet. Ein cleverer Staatsanwalt wird unter diesen Umständen kaum den mühseligen Umweg über die Siegelung / Entsiegelung gehen, wenn er eine halbwegs vernünftige Begründung dafür hat, die Siegelung nicht vorzunehmen. Ich glaube nicht, dass das die Idee des Gesetzgebers war.
Doch, den Staatsanwälten sollte im Bereich der Siegelung (neu) ein gewisser Ermessensspielraum zukommen. Das nicht nur hinsichtlich des Zeitpuktes einer verlangten Siegelung sondern auch hinsichtlich der geltend gemachten Gründe. Das war meines Erachtens klar die Idee des Gesetzgebers, was sich grundsätzlich schon dem Wortlaut der Bestimmung entnehmen lässt:
Unter dem alten Recht der zürcherischen Strafprozessordnung war die Siegelung gemäss § 101 Abs. 1 StPO folgendermassen geregelt:
„WIDERSETZT sich der Inhaber der Papiere der Durchsuchung, so bewahrt die Untersuchungsbehörde sie versiegelt auf und holt den Entscheid des Bezirksgerichts, in Fällen der Zuständigkeit des Geschworenen- oder Obergerichts als erster Instanz denjenigen der Anklagekammer, darüber ein, ob eine Untersuchung stattfinden darf.“
In der neuen Schweizerischen Strafprozessordnung regelt Art. 248 Abs. 1 StPO die Siegelung:
„Aufzeichnungen und Gegenstände, die NACH ANGABEN der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, sind zu versiegeln und dürfen von den Strafbehörden weder eingesehen noch verwendet werden“.
Die Siegelung hat mit dieser neuen Regelung offensichtlich eine Änderung erfahren. Im Gegensatz zum alten Recht, wo der Inhaber einfach sagen konnte „ich widersetzte mich der Durchsuchung und verlange eine Siegelung!“ muss der Inhaber der zu durchsuchenden Aufzeichnungen und Gegenstände nunmehr einen Grund angeben, weshalb sie nicht durchsucht werden dürfen. An die formlos mögliche Einsprache und deren Begründung sind zwar geringe Anforderungen zu stellen, zumindest aber eine Glaubhaftmachung des Vorliegens entsprechender Gründe ist zu verlangen.
In der Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21.12.2005 heisst es diesbezüglich dementsprechend (BBl 2006, 1239):
„Die Person, in deren Händen sich die Aufzeichnungen oder Gegenstände tatsächlich befinden (bspw. die Bank) oder die rechtlich berechtigt ist (bspw. der Inhaber des Bankkontos), hat einzig vorzubringen, eine Durchsuchung oder Beschlagnahme sei WEGEN eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechtes (vgl. Art. 263 Abs. 3) oder aus anderen Gründen (beispielsweise die betreffenden Gegenstände enthielten Geheimnisse ohne Relevanz für das Verfahren) unzulässig. Angesichts des provisorischen Charakters der Siegelung genügt die Glaubhaftmachung solcher Gründe.“
Gelingt es dem Berechtigten nicht, solche Gründe glaubhaft darzulegen, dann darf der Staatsanwalt die Siegeung verweigern und zur Durchsuchung schreiten. Der clevere Staatsanwalt nützt diesen (kleinen) Spielraum in Zukunft aus.
Auch die Kommentatoren sprechen sich mehrheitlich für die Notwendigkeit des Glaubhaftmachens der Gründe für die Siegelung aus (vgl. Thormann/Brechbühl, in: Niggli / Herr / Wiprächtiger [Hrsg.], BSK StPO, Basel 2011, Art. 248 N10 und Fussnote 26).
Es ist halt alles eine Frage der Perspektive. Ich bin der Meinung, dass grundsätzlich verfassungskonform auszulegen ist. Die Siegelung schützt nun mal verfassungsmässige Rechte. Und wenn sich dann herausstellen sollte, dass sie zu Unrecht geltend gemacht wurde, dann wird der Entsiegelungsrichter ja wissen, was zu tun ist. Meine Meinung: geht aus dem Verhalten einer Person hervor, dass sie beschlagnahmte Güter versiegelt haben will, dann sind sie zu versiegeln. Nur so ist der Schutz gewährleistet.
Ein Grund, die Siegelung verlangen zu können, sollte sein, ob für die Durchsuchung überhaupt hinreichende Verdachtsmomente bestanden. Das muss das Gericht auch klären und nicht nur, ob Gründe vorliegen, warum man der Entsiegelung widerspricht. Das Entsiegelungsverfahren ist das erste, wo ein Richter überhaupt über die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung befinden kann.