Zu spät bestellte Verteidigung
Nach Art. 131 StPO ist eine Verteidigung zu bestellen, sobald die Notwendigkeit i.S.v. Art. 130 StPO erkennbar ist. Die vor der Bestellung erhobenen Beweise sind “nur gültig, wenn die beschuldigte Person auf ihre Wiederholung verzichtet” (Art. 131 Abs. 3 StPO). Strittig ist, ob es sich dabei um ein absolutes oder um ein relatives Verwertungsverbot handelt.
Was mir auf den ersten Blick als völlig klar erscheint und auch von der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts so gesehen wird, scheint die um ihren Kompass ringende oberste Strafverfolgungsbehörde des Landes (aka I. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts) in Frage stellen zu wollen (vgl. dazu etwa BGer 1B_124/2015 vom 12.08.2015 oder insbesondere BGE 141 IV 299 E. 2).
Das Obergericht des Kantons Bern hat die strittige Frage – wie es in E. 4.3 seines Beschlusses ausführt – nun geklärt (BK-Nr 16/44 vom 21.03.2016):
In der Botschaft zur StPO wird zu Art. 129 Abs. 3 E StPO, der mit Art. 130 Abs. 3 StPO praktisch identisch ist, ausgeführt, dass die Beweise unverwertbar sind in den Fällen, bei welchen im Zeitpunkt der Beweisabnahmen die Verteidigung erkennbar notwendig war (BBI 2006 1085 ff. , S. 1179). Für ein Abweichen von diesem Standpunkt in der Botschaft gibt es keinen Grund, im Gegenteil. Wird eine beschuldigte Person zu Beginn der ersten Einvernahme nicht darüber belehrt, dass sie berechtigt ist, eine Verteidigung zu bestellen oder gegebenenfalls eine amtliche Verteidigung zu beantragen, ist die Einvernahme unverwertbar (Art. 158 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 i.V. mit Art. 141 Abs. 1 StPO). Umso mehr muss die Unverwertbarkeit Platz greifen, wenn der beschuldigten Person trotz erkennbarer notwendiger Verteidigung kein Verteidiger zur Seite gestellt wird. Die Beschwerdekammer schliesst deshalb bei unterlassener Bestellung einer notwendigen Verteidigung auf ein absolutes Beweisverwertungsverbot.
Das Einvernahmeprotokoll vom 9. November 2015 (recte 10. November 2015) ist somit ab Zeile 116 aus den Strafakten zu entfernen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens unter Verschluss zu halten und danach zu vernichten (E. 4.4).
Nicht so klar erscheint mir höchstens, warum nicht das ganze Protokoll aus den Akten zu weisen ist. Mit dieser Frage setzt sich das Obergericht nicht auseinander.