Zum Härtefall bei der Landesverweisung
Am 17. September 2024 hat der EGMR die Schweiz wegen Verletzung von Art. 8 EMRK im Zusammenhang mit der Landesverweisung verurteilt (vgl. dazu meinen früheren Beitrag). Ein paar Wochen vor diesem Entscheid hat das Bundesgericht einen Härtefall, den das Kantonsgericht LU am 15. Juli 2021 (!) angenommen hatte, auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin geschützt (BGer 6B_49/2022 vom 28.08.2024, Fünferbesetzung).
Die vorinstanzliche Beurteilung erweist sich dabei im Ergebnis als zutreffend. Eine Ausreise in die Dominikanische Republik ist den Söhnen der Beschwerdegegnerin angesichts ihres Alters, des bisher vollständig in der Schweiz verbrachten Lebens sowie mangels Verbindung zur Heimat der Beschwerdegegnerin nicht zumutbar (vgl. supra E. 3.4.2). Sie haben ein erhebliches Interesse an einer Weiterführung ihres Lebens in der Schweiz. Da es sich bei der Beschwerdegegnerin um die alleinige Inhaberin der elterlichen Sorge und Obhut handelt und ihre Söhne (abgesehen von ihr) hier über kein tragfähiges familiäres Umfeld verfügen – womit sie das Land de facto mit der Beschwerdegegnerin verlassen müssten – besteht demnach ein gewichtiges Interesse an einem hiesigen Verbleib ihrer Mutter. Dieses Kindesinteresse überwiegt im vorliegenden Fall dasjenige der Öffentlichkeit an einer Landesverweisung der Beschwerdegegnerin. Der vorinstanzliche Verzicht auf deren Anordnung erweist sich damit als rechtskonform (E. 3.6.4, Hervorhebungen durch mich).
Die Beschwerdeführerin wird eine Strafe von 11 Monaten verbüssen müssen. Der Rest war teilbedingt. Dank dem letzten EM-Entscheid (vgl. meinen früheren Beitrag) und der langen Verfahrensdauer allein vor Bundesgericht wird sie die Freiheitsstrafe möglicherweise zuhause verbüssen können, wo sie sich weiterhin um die Kinder kümmern kann.
Es liegt mir fern, diesen Entscheid des Bundesgerichts (und der Vorinstanz) zu kritisieren. Erwartet hätte aber ich einen klaren Sieg der Staatsanwaltschaft.