Zum Haftgrund der Ausführungsgefahr

Das Bundesgericht äussert sich in BGE 1B_440/2011 vom 23.09.2011 (Publikation in der AS vorgesehen) zum Haftgrund nach Art. 221 Abs. 2 StPO. Das Bundesgericht bestätigt die Untersuchungshaft und kann sich dabei auf ein Gutachten stützen, das jedenfalls die statistische Prognose so ungünstig gar nicht darstellte. Entscheidend war aber, dass der Beschwerdeführer die Tat bereits versucht hatte, der Versuch offenbar geplant war und dass es sich dabei um ein schweres Verbrechen handelte (versuchte Tötung der Ehefrau):

Es bestehen demnach verschiedene erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer die bisher nur bis zum Versuchsstadium gelangte Tat ausführen könnte. Er räumt selber ein, dass nach der Wertung der Gutachterin die ungünstigen Prognosemerkmale überwiegen (Beschwerde S. 12 Ziff. 31). Es geht um vorsätzliche Tötung und damit ein sehr schweres Verbrechen. Entsprechend darf nach der angeführten Rechtsprechung an die Annahme von Ausführungsgefahr kein allzu strenger Massstab angelegt werden (E. 2.3, Hervorhebungen durch mich).

Dass der Massstab von der Schwere des auszuführenden Delikts abhängt, erscheint mir – je nach Fallkonstellation – als nicht unbedenklich. Es ist ja nicht immer so klar, ob die auszuführende Tat so schwer wiegt. Ist sie aber wie im vorliegenden Fall bereits zum Versuch gelangt, habe ich damit keine Mühe.

Der Beschwerdeführer machte u.a. geltend, Art. 221 Abs. 2 sei mangels Drohung nicht anwendbar. Das Bundesgericht hält ihm nachvollziehbar entgegen, die Drohung müsse keine verbale sein und er habe durch den zugestandenen Versuch ja mehr als nur gedroht:

Art. 221 Abs. 2 StPO setzt die Drohung voraus, ein schweres Verbrechen auszuführen. Es trifft zu, dass eine ausdrückliche Drohung des Beschwerdeführers, er werde seine Frau töten, nicht aktenkundig ist. Die Drohung kann jedoch auch konkludent erfolgen (…). So verhält es sich hier. Der Beschwerdeführer steht unter dem dringenden Verdacht, am 23. Dezember 2010 in der Waschküche seiner Ehefrau die Pulsader des linken Handgelenks aufgeschnitten und sie dort zurückgelassen zu haben in der Annahme, sie werde verbluten. Darin ist eine konkludente Drohung zu erblicken, der Beschwerdeführer werde die bisher nur bis zum Versuchsstadium gelangte vorsätzliche Tötung noch verwirklichen (…). Aufgrund des Vorfalls vom 23. Dezember 2010 ist die Bedrohung sogar konkreter, als wenn der Beschwerdeführer lediglich verbal gedroht hätte. Liegt demnach eine konkludente Drohung vor, sind die Voraussetzungen der Haft nach Art. 221 Abs. 2 StPO auch insoweit erfüllt (E. 2.4).

Zur milderen Massnahme eines Kontaktverbots stützt sich das Bundesgericht wiederum auf das Gutachten:

Wie dargelegt, bestehen verschiedene ungünstige Prognosekriterien, welche gesamthaft erheblich ins Gewicht fallen.
Die Gutachterin führt aus, insbesondere der Umstand, dass der Beschwerdeführer trotz eines bereits laufenden Verfahrens wegen häuslicher Gewalt den schweren Angriff auf seine Frau verübt habe, müsse als prognostisch höchst ungünstig beurteilt werden. Im Falle einer geplanten Tat würde dies darauf hindeuten, dass der Beschwerdeführer sich auch durch die Aufdeckung seiner Gewalttätigkeit und drohende Konsequenzen nicht von einem weiteren Angriff habe abhalten lassen. Unter diesen Voraussetzungen könnte die Ausführungsgefahr durch ein Kontaktverbot kaum reduziert werden (S. 64/65).
In Anbetracht der belastenden Gesichtspunkte und gestützt auf die Würdigung der Gutachterin ist es nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz ein Kontaktverbot als ungenügend für die Bannung der Ausführungsgefahr erachtet hat. Dies gilt umso mehr, als der Beschwerdeführer mit der psychotherapeutischen Behandlung, welche nach Auffassung der Gutachterin zu einer Verbesserung der Rückfallprognose beitragen könnte, noch nicht begonnen hat (E. 3.2).

Wieso der Entscheid publiziert werden soll, ist mir nicht klar. Vielleicht sollte ein Fall publiziert werden, bei dem die Ausführungsgefahr im Gegensatz zu BGE 137 IV 122 (s. dazu meinen früheren Beitrag) zu bejahen war.