Zum Inhalt des Konfrontationsanspruchs
Das Bundesgericht äussert sich in einem neuen Entscheid zum materiellen Gehalt des Konfrontationsanspruchs und kassiert ein Urteil, das diesen verletzt hatte (BGer 6B_369/2013 vom 31.10.2013). Das Bundesgericht stellt insbesondere klar, dass die Verletzung des Konfrontationsanspruchs nicht einfach dadurch behoben werden kann, dass eine Einvernahme unter Gewährung der Teilnahmerechte wiederholt wird. Damit ist dem Teilnahme- und Konfrontationsrecht nur in formeller Hinsicht Rechnung getragen:
Dies bedeutet aber noch nicht, dass damit auch die früheren Befragungen uneingeschränkt verwertet werden können. Dem Anspruch auf Wiederholung einer Beweiserhebung ist nur Genüge getan, wenn die nicht verwertbaren Beweise auf gesetzeskonforme Art neu erhoben werden. Der konventionsrechtliche Konfrontationsanspruch (Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK) verlangt, dass der Beschuldigte in die Lage versetzt wird, sein Fragerecht tatsächlich auszuüben und damit die Glaubhaftigkeit einer Aussage infrage stellen zu können. Dies setzt in aller Regel voraus, dass sich der Einvernommene in Anwesenheit des Beschuldigten (nochmals) zur Sache äussert. In diesem Fall steht nichts entgegen, im Rahmen einer Gesamtwürdigung auch auf die Ergebnisse der früheren Beweiserhebung ergänzend zurückzugreifen. Denn die Frage, ob bei widersprüchlichen Aussagen oder späteren Erinnerungslücken eines Zeugen auf die ersten, in Abwesenheit des Beschuldigten erfolgten Aussagen abgestellt werden kann, betrifft nicht die Verwertbarkeit, sondern die Würdigung der Beweise (Urteil 6B_325/2011 vom 22. August 2011 E. 2.3). Beschränkt sich die Wiederholung der Einvernahme aber im Wesentlichen auf eine formale Bestätigung der früheren Aussagen, wird es dem Beschuldigten verunmöglicht, seine Verteidigungsrechte wirksam wahrzunehmen (E. 2.3.3, Hervorhebungen durch mich).
Letzteres war im konkreten Fall zutreffend:
Die kantonalen Behörden haben den Umstand selbst zu vertreten, dass sich das mutmassliche Opfer und der Zeuge zum Zeitpunkt der Konfrontationseinvernahmen – wenn überhaupt – nur noch vage an die Vorfälle erinnern konnten und es nach entsprechenden Vorhalten im Wesentlichen bei einer Bestätigung ihrer früheren Aussagen bewenden lassen mussten. Dem Beschwerdeführer war damit die Möglichkeit verwehrt, seine Rechte rechtzeitig und wirksam wahrzunehmen. Im Übrigen ist mit grosser Wahrscheinlichkeit ohnehin davon auszugehen, dass angesichts des Alters der Kinder deren ergänzenden Aussagen mehr als viereinhalb bzw. mehr als sechseinhalb Jahre nach den Vorfällen überhaupt nicht mehr als taugliches Beweismittel gelten können (vgl. Urteil 1P.549/2001 vom 11. Januar 2002 E. 4.1, publ. in: Pra 91/2002 Nr. 99 S. 571) [E. 2.3.3].
Der Fall war übrigens nach altem bernischem Prozessrecht Recht zu entscheiden. Das Bundesgericht erinnert in E. 2.2 die Vorinstanz aber daran, dass die EMRK auch damals schon galt. Das Urteil des Bundesgerichts spricht im Übrigen eine auch unter neuem Recht praktische Frage an. Aus unerfindlichen Gründen finden die Opfereinvernahmen auch heute noch oft im polizeilichen Rahmen statt. Das kann den Konfrontationsanspruch nicht beschränken:
Soweit der Konfrontationsanspruch zur Diskussion steht, werden auch die in der Voruntersuchung gegenüber der Polizei gemachten Aussagen als Zeugenaussagen betrachtet (BGE 125 I 127 E. 6a S. 132 mit Hinweisen). Dass die Strafprozessordnung ein Teilnahmerecht der Parteien nur bei Beweiserhebungen nach eröffneter Untersuchung, nicht aber auch für das polizeiliche Ermittlungsverfahren, vorsieht (Art. 147 Abs. 1 StPO), berührt den Konfrontationsanspruch – entgegen der Auffassung der Vorinstanz (…) – nicht.
Der Entscheid erging in Dreierbesetzung, hätte m.E. aber in die amtliche Sammlung gehört, was leider nicht vorgesehen ist.
Naja, ausschlaggebend war ja hier eher die überlange Untersuchung, weshalb das Bundesgericht die Schuld für die späteren Erinnerungslücken der Befragten der Justiz zuschiebt. Wie es selber ausführt, sind (‘unverschuldete’) Erinnerungslücken bei der Konfrontation an sich kein Verwertungshindernis, wenn der Beschuldigte gleichzeitig die Möglichkeit zu Ergänzungsfragen hat.
Wenn aber diese Beeinträchtigung der ‘Qualität’ des Konfrontationsrechts durch die Strafverfolgungsbehörden verschuldet ist, darf sich dies nicht zu Lasten des Beschuldigten auswirken. Das scheint mir eine sehr ausgewogene Sichtweise, sie hat aber mehr mit dem Fairnessgebot als mit dem Konfrontationsanspruch zu tun.
Was das Bundesgericht in seinem Unverständnis über die unterlassene Konfrontationseinvernahme zu übersehen scheint ist, dass Kinder grundsätzlich nur zweimal befragt werden dürfen (Art. 154 ABs. 4 lit. b StPO). Will die Staatsanwaltschaft also dem Gericht die Direktbefragung des ‘Belastungszeugen’ offen halten, ist während der Untersuchung gar nicht mehr als eine Befragung des Opfers möglich. Diese ist in der Regel die polizeiliche Erstbefragung ohne Beisein des Beschuldigten (der eben häufig noch gar nicht diesen Status hat).
Strafanzeigen werden in der Praxis meistens bei der Polizei erstattet, und dass dann der Beweissicherung in der Regel der Vorrag gegeben wird ist meines Erachtes (nur schon aussagepsychologisch) nicht zu beanstanden. Nur sollte es dann eben nicht fünf oder sechs Jahre gehen, bis das Gericht seine Zweitbefragung macht.