Zum subjektiven Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG
Das Bundesgericht nimmt die Beschwerde eines Lieferwagenfahrers zum Anlass, seine Praxis zum subjektiven Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG zu rekapitulieren (BGer 6B_817/2011 vom 12.06.2012).
Subjektiv erfordert der Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrswidriges Verhalten, das heisst ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit. Diese ist zu bejahen, wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst ist. Grobe Fahrlässigkeit kann aber auch vorliegen, wenn der Täter die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht zieht, also unbewusst fahrlässig handelt. In solchen Fällen ist grobe Fahrlässigkeit zu bejahen, wenn das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auf Rücksichtslosigkeit beruht (BGE 131 IV 133 E. 3.2 S. 136 mit Hinweisen) [E. 2.3, Hervorhebungen durch mich].
Das ist nicht ganz einfach zu verstehen. Unbewusste Fahrlässigkeit ist dann grobe Fahrlässigkeit, wenn die Gefährdung aus Mangel an Rücksicht nicht bedacht wird. Kann man das überhaupt?
Im zu beurteilenden Fall hält das Bundesgericht zunächst fest, der Beschwerdeführer habe “zumindest” unbewusst fahrlässig gehandelt.
Der Beschwerdeführer unterliess es, die mehrfache Signalisation genügend zu beachten. Dies ist umso unverständlicher, als er wusste, dass die Autostrasse in eine Hauptstrasse übergehen und die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h auf 80 km/h wechseln würde. Bei dieser Sachlage durfte er auch nicht etwa darauf vertrauen, sich noch auf der Autostrasse zu befinden. Jedenfalls wäre ein entsprechender Irrtum bei pflichtgemässer Vorsicht vermeidbar gewesen (vgl. Art. 13 Abs. 2 und Art. 333 Abs. 1 StGB). Indem der Beschwerdeführer der wiederholten Signalisation nicht die gebotene Aufmerksamkeit schenkte, die Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h übersah und den Tachometer unbeachtet liess, war er pflichtwidrig unachtsam. Damit handelte er zumindest unbewusst fahrlässig (E. 2.4.2).
Jetzt war quasi noch die Rücksichtslosigkeit nachzuweisen, die im “Unbewusssein” lag. Hier ist die Formel einfach. Je gröber die Verletzung des objektiven Tatbestands, desto eher ist die unbewusste Fahrlässigkeit rücksichtslos:
Die Vorinstanz nimmt zu Recht an, der Beschwerdeführer habe gegenüber den Interessen anderer Verkehrsteilnehmer rücksichtslos gehandelt. Die Geschwindigkeitsüberschreitung von 30 km/h offenbart ein bedenkenloses Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern. Besondere Umstände, welche das Fahrverhalten des Beschwerdeführers subjektiv in einem milderen Licht erscheinen liessen, bestehen nicht. Damit ist der subjektive Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG erfüllt (E. 2.4.2).
Möglich ist all dies, weil Art. 100 Ziff. 1 SVG. Zu rügen ist in solchen Fällen wohl nicht das materielle, sondern das formelle Recht (s. dazu meinen früheren Beitrag).