Zum Verfahren bei Änderungen in der Zusammensetzung des Spruchkörpers

Im Kanton Thurgau wurde ein Berufungsverfahren auf Antrag der Verteidigung zweigeteilt (Schuldinterlokut, Art. 342 Abs. 1 lit. a StPO). Zwischen dem ersten und dem zweiten Teil wurde der Spruchkörper verändert, weil ein Oberrichter seine neue Stelle als Bundesrichter angetreten hatte. Ein solcher Wechsel ist zwar möglich, aber halt nur nach Massgabe von Art. 335 StPO. Diesen hat die Vorinstanz verletzt (BGE 6B_460/2024 vom 13.09.2024, Publikation in der AS vorgesehen):

Bei korrektem prozessualen Vorgehen hätte die Vorinstanz dem Beschwerdeführer den Ausfall von Oberrichter Matthias Kradolfer für den zweiten Teil der Hauptverhandlung – wie erfolgt – mitteilen müssen. Ebenfalls hätte sie ihn indes auf den Grundsatz der Wiederholung und auf sein Recht, i.S.v. Art. 335 Abs. 2 StPO auf eine solche zu verzichten, hinweisen müssen. Anstatt dem Beschwerdeführer aber sein Recht auf Verzicht einer Wiederholung einzuräumen, auferlegt sie ihm die Pflicht zur aktiven Erhebung einer formellen Rüge gegen den angekündigten Wechsel in der Besetzung des Gerichts. Diese Optik ist mit Blick auf die in Art. 335 Abs. 2 StPO gesetzlich geregelte Möglichkeit des Verzichts verfehlt. 

Diese Optik ist in der Tat verfehlt. Sie ist immer verfehlt, wenn die Verteidigung direkt oder indirekt verpflichtet wird, Verfahrensmängel von sich aus und rechtzeitig zu rügen, am liebsten in einem Zeitpunkt, in dem sie noch korrigiert werden können.