Zur Interessenabwägung bei der Landesverweisung

Das Bundesgericht kassiert ein Urteil des Obergerichts TG, welches die Interessenabwägung bei der Landesverweisung rechtsfehlerhaft vorgenommen haben soll (BGer 6B_75/2020 vom 19.01.2021, Fünferbesetzung). Der Entscheid erging bereits in der aktuellen Besetzung der Strafrechtlichen Abteilung und kommt angesichts der nicht unerheblichen Straftaten zu diesem Fazit:

Unter Berücksichtigung dieser Umstände hätte die Vorinstanz bei ihrer Prüfung der restriktiv anzuwendenden Härtefallklausel das öffentliche Interesse an einer Landesverweisung höher werten müssen als das persönliche Interesse des Beschwerdegegners an einem Verbleib in der Schweiz (E. 2.4).

Nicht gegen die Landesverweisung sprach im Übrigen, dass der Verurteilte portugiesischer Staatsangehöriger ist:

2.5.1. Das FZA gibt Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der EU und der Schweiz u.a. das Recht auf Einreise, Aufenthalt, Zugang zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit und Niederlassung als Selbständiger sowie das Recht auf Verbleib im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien (Art. 1 lit. a). Das Einreiserecht wird gemäss den in Anhang I festgelegten Bestimmungen eingeräumt (Art. 3; vgl. BGE 143 IV 97 E. 1.2.1 S. 100). Nach Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA dürfen die im Abkommen eingeräumten Rechte nur durch Massnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind, eingeschränkt werden. Die Landesverweisung nach Art. 66a ff. StGB ist als Institut des Strafrechts und nach der Intention des Verfassungs- und des Gesetzgebers primär als sichernde Massnahme zu verstehen (vgl. Art. 121 Abs. 2 und 5 BV; Urteile 6B_1474/2019 vom 23. März 2020 E. 1.6.2; 6B_627/2018 vom 22. März 2019 E. 1.3.2).  Ob die öffentliche Ordnung und Sicherheit (weiterhin) gefährdet ist, folgt aus einer Prognose des künftigen Wohlverhaltens. Es ist nach Art und Ausmass der möglichen Rechtsgüterverletzung zu differenzieren: Je schwerer die Gefährdung, desto niedriger die Anforderungen an die in Kauf zu nehmende Rückfallgefahr. Ein geringes, aber tatsächlich vorhandenes Rückfallrisiko kann für eine aufenthaltsbeendende Massnahme im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA genügen, sofern dieses Risiko eine schwere Verletzung hoher Rechtsgüter wie z.B. die körperliche Unversehrtheit beschlägt (BGE 145 IV 364 E. 3.5.2 S. 371 f.; Urteile 6B_1474/2019 vom 23. März 2020 E. 1.6.2; 6B_1146/2018 vom 8. November 2019 E. 6.3.2 und 6.3.3).  

2.5.2. Mit den neuerlichen Verurteilungen des Beschwerdegegners mitunter für schwere Delikte, u.a. wegen mehrfachen, teilweise qualifizierten Raubs, und seines nicht von der Hand zu weisenden, zumindest geringen Rückfallrisikos sind auch die Voraussetzungen für eine Einschränkung der Freizügigkeit nach Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA erfüllt.