Zur Kehrtwende Im Fall Walker
Inzwischen habe ich den Entscheid (vgl. meinen früheren Beitrag) gelesen.
Ich versuche, ihn wie folgt zusammenzufassen:
- And the winner is …: der im Vorfeld heftig kritisierte Staatsanwalt bzw. der von ihm vertretene staatliche Strafanspruch bzw. wir, das Volk.
- Verlierer – nebst Ignaz Walker – sind: die Vorinstanz, die manipulativen Medien und der amtliche Verteidiger, der über seine offenbar übersetzte Kostennote in die Schranken gewiesen wird.
- Rechtlich hat die Vorinstanz “in dubio pro reo” willkürlich angewendet (das ist angesichts der Willkürkognition eigentlich nur möglich, wenn das Bundesgericht ohne jeden – nicht nur ohne jeden vernünftigen – Zweifel von der Schuld Walkers überzeugt ist). Damit sind die Hände der Vorinstanz im neuen Verfahren tatsächlich gebunden.
Das aus meiner Sicht auffälligste Zitat läuft auf den Vorwurf an die Vorinstanz hinaus, sie habe an der Schuld Walkers gezweifelt:
Die Vorinstanz verkennt zudem, dass nicht jede durch nichts belegte und noch so entfernte Möglichkeit, dass sich der Sachverhalt auch anders zugetragen haben könnte, Zweifel an der Schuld zu begründen vermag. Rechtserheblich sind nur begründete Zweifel, d.h. solche, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen (…) [E. 15.2].
Das entspricht zwar dem Wortlaut von Art. 10 Abs. 3 StPO, aber m.E. nicht der Unschuldsvermutung.
Ob sich der verantwortliche “Journalist” der Rundschau nun wegen Begünstigung zu verantworten haben wird?
Ich hoffe es nicht, aber wundern würde es mich auch nicht.
Was mich hingegen immer wieder befremdet ist folgendes: Ich anerkenne, dass es das Bundesgericht ist, das am Ende sagt, was rechtlich gesehen Sache ist. Das ist aber doch nur das juristische Ende. Wieso soll das Bundesgericht die gesellschaftliche Deutungshoheit haben? Wieso ist es legitim, den nun kassierten Freispruch als “falsch” zu qualifizieren und die Rolle der Medien als “unrühmlich? Oder anders gefragt: sind Bundesgerichtsurteile auch für die Medien verbindlich?
@ Leser: Eventualiter: Falsche Anschuldigung.
@ kj: Es ist immer noch ein Strafprozess (auch wenn das ob der medialen Aufbauschung manchmal vergessen zu gehen scheint). Da hat noch immer das Bundesgericht das letzte und verbindliche Wort. Aber die Frage mit der Verbindlichkeit ist schon berechtigt: Der Fall zeigt exemplarisch auf, wie problematisch es ist, wenn in einem laufenden Strafprozess die Medien eine Paralleluntersuchung führen und dazwischen “funken”. Nach meinem Dafürhalten ist es Aufgabe der Justiz und nicht der Medien, in einem Strafprozess die Untersuchung zu führen und ein Urteil zu fällen. Aber vielleicht bin ich mit meiner Meinung aus der Mode: In einer Mediengesellschaft scheint es wichtiger zu sein, welche These durch ein Magazin verkauft wird, als welche These der Beurteilung eines Gerichts standhält.
@Willi Kür: Die Justiz (heute in 95% aller Verfahren die Staatsanwaltschaft) hat nur strafprozessual gesehen das letzte Wort. Und selbst das Strafprozessrecht hält sich über die Revision ein Türchen offen. Was die Medien vor Rechtskraft des Urteils tun, mag manchmal ärgerlich sein, ist aber zum Glück ihnen selbst überlassen. Viel schlimmer wären Richter, welche ihre Urteile mediengerecht (und manchmal medienwirksam) fällen und begründen. Im Fall Walker waren die Medien sicher nicht das Problem. Das gilt selbst dann, wenn die Manipulationsverwürfe des Bundesgerichts zutreffend wären, was zumindest aus den öffentlich zugänglichen Unterlagen nicht beurteilt werden kann. Der Fall ist ja formell noch nicht entschieden, womit die Medien weiterhin Anlass zur Berichterstattung haben werden. Vielleicht widerlegen sie ja sogar die Vorwürfe des Bundesgerichts.