Zur Kunst des Protokollierens …

… und zur in der Schweiz herrschenden Wirklichkeit ist im aktuellen Jusletter ein sehr beachtenswerter Beitrag (kostenpflichtig) von Dr. Philipp Näpfli, Rechtsanwalt und Notar, Bezirksgerichtspräsident in Brig und Ersatzrichter am Kantonsgericht Wallis, erschienen. Näpfli zieht folgende ernüchternde Bilanz:

Das heute vorherrschende Schriftprotokoll, wie es auch der Schweizerischen Strafprozessordnung zu Grunde gelegt ist, beruht auf einer insgesamt veralteten und unzulänglichen Protokollmethode, die gerade bei weitgehend eingeschränktem Unmittelbarkeitsprinzip umso verheerendere Wirkung zeitigen kann.

Insbesondere der Zusammenhang mit der fortschreitenden Verdrängung des Unmittelbarkeitsprinzips kann nicht stark genug betont werden. Näpfli belässt es freilich nicht bei der Kritik, sondern schlägt Optimierungsmöglichkeiten vor, die auch ohne Einsatz technischer Hilfsmittel sehr einfach umzusetzen wären:

Wesentliche Verbesserungen können durch die vollständige Protokollierung der Fragen, Vorhalte und Antworten erzielt werden. Es sind schlicht keine Gründe ersichtlich, die das Weglassen von Fragen und Vorhalten rechtfertigen liessen. Mithin ist die umfassende wirklichkeitstreue Protokollierung bei sämtlichen strafprozessualen Einvernahmen als Standard zu fordern. Die non- und paraverbale Kommunikation ist soweit überhaupt möglich protokollarisch festzuhalten, damit Erkenntnisse der Aussagepsychologie insgesamt vermehrt berücksichtigt werden können.

Das sind an sich Selbstverständlichkeiten, die aber hierzulande, wo noch immer der Fiktion der “materiellen Wahrheit” gehuldigt wird, auf hartnäckigsten Widerstand stossen.

Zitat: Philipp Näpfli, Würdigung des strafprozessualen Einvernahmeprotokolls, in: Jusletter 22. März 2010.