Zur möglichen Bedeutung ausländischen Rechts für die inländische Beweisverwertung
Heute hat das Bundesgericht ein Urteil u.a. zu Fragen der Verwertbarkeit von im Ausland erhobenen Beweismitteln im Internet publiziert (BGer 6B_1353/2023 vom 06.11.2024(!), Fünferbesetzung ohne Publikation in der AS). Es schloss auf Unverwertbarkeit der Beweismittel, welche österreichische Strafverfolger ohne richterliche Genehmigung bei einem amerikanischen Plattformanbieter eingeholt hatten.
Der Beschwerdeführer machte in Bezug auf den Vorwurf der Pornografie die Unverwertbarkeit der durch die österreichischen Behörden beim amerikanischen Plattformbetreiber J. erlangten Beweise (Bestandes- und Randdaten), welche auf eine IP-Adresse der schweizerischen Hochschule S hinwiesen. Rechtshilfeweise via STA Zürich wurden die entsprechenden Nutzerdaten der Hochschule an die österreichischen Strafverfolger übermittelt. Die Fragestellung definiert das Bundesgericht wie folgt, wobei es den Rechtshilfeteil via STA Zürich zunächst ausblendet:
Damit handelt es sich vorliegend um Beweise, die von den österreichischen Strafverfolgungsbehörden in den USA erhoben worden sind und in einem von der Schweiz übernommenen Strafverfahren verwertet werden sollen. Die Beweiserhebung erfolgte nicht über den Rechtshilfeweg, sondern über eine Anfrage, die von den österreichischen Strafverfolgungsbehörden direkt an J. gestellt worden war. Bei letzterer handelt es sich um eine in den USA domizilierte Anbieterin abgeleiteter Dienste. Damit stellt sich zunächst die Frage, nach welchem Recht die durch die österreichischen Strafverfolgungsbehörden in den USA vorgenommene Beweiserhebung respektive die Frage von deren Verwertung zu beurteilen ist (E. 4.3.2).
Gestützt auf die Lehrmeinung von Sabine Gless prüfte das Bundesgericht den Fall auf Verfahrensfehler der ausländischen Behörden und kam zum Schluss, dass solche vorlagen und auch für das inländische Recht beachtlich sind. Es müsse
davon ausgegangen werden, dass es bei der von den österreichischen Strafverfolgungsbehörden in den USA vorgenommenen Datenerhebung sowohl nach Massgabe des österreichischen, aber auch auch des schweizerischen Rechts zu Verfahrensverstössen gekommen ist (E. 4.3.2.4).
Es folgen dann Erwägungen zum österreichischen Recht mit dem Ergebnis, dass die Anfrage an die Plattform J. dem österreichischen Recht mangels richterlicher Genehmigung nicht entsprach (E. 4.3.5).
Anschliessend prüfte das Bundesgericht die Rechtslage nach schweizerischem Recht. Zu beurteilen war insbesondere, ob eine schweizerische Staatsanwaltschaft im Rahmen einer sich auf die Cyber Crime Convention stützenden Anfrage um freiwillige Herausgabe von Randdaten ersuchen darf, die sie inländisch nur unter dem Vorbehalt einer richterlichen Genehmigung nach Art. 273 f. StPO erhältlich machen könnte (…). Diese Frage hat das Bundesgericht in Bestätigung von BGE 141 IV 108 E. 5.12 zu verneint.
DAs führte dann zusammenfassen aus folgenden Gründen zur absoluten Unverwertbarkeit:
Zusammenfassend ergibt sich, dass das Ersuchen um freiwillige Bekanntgabe der von den österreichischen Strafverfolgungsbehörden bei J. angefragten (Rand- bzw. Verkehrs-) Daten nach schweizerischem Recht unter dem Vorbehalt der richterlichen Bewilligung steht. Damit einher gehen erhebliche Zweifel an der Rechtmässigkeit der von den österreichischen Strafverfolgungsbehörden in den USA getätigten Beweiserhebung, respektive ist davon auszugehen, dass das österreichische Recht die Bewilligungspflicht die Erhebung von Rand- bzw. Verkehrsdaten betreffend im Grundsatz äquivalent regelt (vgl. oben E. 4.3.2.3 und 4.3.3.2 f.). Eine richterliche Bewilligung wurde zu keinem Zeitpunkt eingeholt, woraus sich aus dem für die Frage der Verwertbarkeit anwendbaren schweizerischen Recht (vgl. oben E. 4.3.2.1) die absolute Unverwertbarkeit der von den österreichischen Strafverfolgungsbehörden in den USA erhobenen Daten ergibt (Art. 277 Abs. 2 i.V.m. Art. 141 Abs. 1 StPO) [E. 4.5].
Der Entscheid enthält eine ganze Reihe weiterer bemerkenswerter Erwägungen, auf die ich hier nicht mehr eingehen kann.
Der Beschwerdeführer hatte übrigens Einsicht in die CompCour-Protokolle nehmen wollen, was ihm aber verweigert wurde. Förmlich behandelt hat das Bundesgericht den Antrag aber nicht (vgl. E. 1). Vielleicht ging es davon aus, der Beschwerdeführer habe ohnehin im Wesentlichen erreicht, was er erreichen wollte: Teil-Gutheissung in ordentlicher Besetzung (E. 4.3.2)-.
Aussageverweigerungsrecht:
Erwähnenswert ist ebenfalls die Sichtweise des Bundesgerichts unter E. 8.2 zum Aussageverweigerungsrecht. Obwohl diese nicht gänzlich neu ist, wird sie in Fachkreisen, unter anderem auch hier, kontrovers diskutiert (https://www.strafprozess.ch/aussagepsychologische-grundregeln/).
Das BGer beleuchtet die komplexe Dynamik zwischen dem Aussageverweigerungsrecht und der freien Beweiswürdigung. In dem Zusammenhang betont das BGer, dass das Aussageverhalten der beschuldigten Person durchaus in die freie Beweiswürdigung miteinbezogen werden kann. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn die beschuldigte Person sich weigert, zur eigenen Entlastung notwendige Angaben zu machen oder wenn sie es unterlässt, entlastende Behauptungen näher zu substantiieren. Solch ein Verhalten ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn eine Erklärung angesichts der vorliegenden belastenden Beweise vernünftigerweise erwartet werden darf. Auch das Schweigen der beschuldigten Person darf bei der Gewichtung belastender Elemente berücksichtigt werden, sofern keine legitime Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht vorliegt.
Es ist möglich, hier unterschiedliche Standpunkte einzunehmen, doch es bleibt unerlässlich nochmals zu unterstreichen, dass sich jeder Verfahrensbeteiligte – insb. der Beschuldigte – der Auswirkungen seines Aussageverhaltens im Strafverfahren bewusst ist. Ein Sachgericht kann durchaus geneigt sein die Aussageverweigerung des Beschuldigten, ob bewusst oder eher unbewusst, zu dessen Nachteil auszulegen.