Zur Strafbarkeit der Journalisten

Das Bundesgericht bestätigt die Verurteilung (Art. 293 Abs. 1 StGB) eines Journalisten, der in einem Zeitungsartikel aus nicht öffentlichen Sitzungsprotokollen einer Kommission der eidgenössichen Räte ztiert hat (BGer 6B_186/2012 vom 11.01.2012). Das Bundesgericht kommt mit der herrschenden Lehre zum Schluss, dass der Strafnorm der formelle Geheimnisbegriff zugrunde liegt. Damit bestätigt es seine Rechtsprechung. Es hält in einem obiter dictum übrigens fest, dass die Verurteilung auch bei Anwendung des materiellen Geheimnisbegriffs rechtens wäre.

In der Sache beruft es sich – wie der Beschwerdeführer – ausgerechnet auf die Stoll-Entscheidung des EGMR:

Der EGMR hat in seinem Urteil Nr. 69698/01 vom 10. Dezember 2007 in Sachen Stoll c. Schweiz (CourEDH 2007 – V S. 205), welches den BGE 126 IV 236 zugrunde liegenden Fall betrifft, erwogen, dass die Bestrafung eines Journalisten mit einer relativ geringfügigen Busse wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen mit Art. 10 EMRK vereinbar ist, wenn im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der massgebenden Umstände das staatliche Geheimhaltungsinteresse gewichtiger ist als das Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Der EGMR (Grosse Kammer) hat dies bejaht und eine Verletzung von Art. 10 EMRK verneint, nachdem zuvor die 4. Kammer des EGMR mit Entscheid vom 25. April 2006 die EMRK verletzt gesehen hatte (E. 1.4).

Der Fall geht hoffentlich nach Strassburg. Ich bin nicht sicher, ob die Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit vor Art. 10 EMRK standhält. Der (tautologische) Schluss des Bundesgerichts geht m.E. zu weit:

Die in Art. 293 StGB vorgesehene Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen ist im Sinne von Art. 10 Ziff. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen (E. 3.6).

Das ist ja nicht die Frage. Die Frage ist, ob der mit Art. 293 StGB verbundenen Grundrechtseingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist.