Zur Verwertung „gestohlener“ Kundendaten

Dass der deutsche Fiskus für Kundendaten bezahlt, die unrechtmässig beschafft wurden, ist seit Tagen das beherrschende Thema. Juristen, Ethiker und Politiker, die ja fast immer auch Juristen und ausnahmslos immer auch Ethiker sind, übertreffen sich gegenseitig mit Kommentaren und fördern eine Diskussion, die ausnahmsweise auch die breiten Massen zu erfassen scheint. Plötzlich spricht man wieder vom Rechtsstaat und darüber, was der Rechtsstaat soll und darf oder eben nicht. Die Idee von der „rule of law“ wird wiederentdeckt. Der Zweck heilige nicht die Mittel. Die Diskussion ruft nach einer juristischen Beurteilung des Sachverhalts. Das Hauptproblem dabei ist, dass der Sachverhalt nicht genügend klar ist, um ihn einer juristischen Beurteilung unterziehen zu können. Wir wissen genau genommen nicht einmal, ob diese ominösen Datenträger mit Angaben über Bankkunden und deren Vermögen existiert. Wir wissen nicht, wer welche Informationen wie genau beschafft hat. Solange der Sachverhalt nicht geklärt ist, ist eine juristische Beurteilung ausgeschlossen. Juristisch erschliessen kann man höchstens eine theoretische Problemstellung, der ein hypothetischer Sachverhalt zu Grunde liegt. Der hypothetische  Sachverhalt könnte wie folgt lauten:

X. ist Angestellter bei der Bank Y mit Sitz in der Schweiz. X. hat zufolge seiner internen Aufgaben von seinem Arbeitsplatz in der Schweiz aus Zugriff auf elektronisch erfasste Bankkundendaten (Personalien des Bankkunden, Art der Kundenbeziehung samt Verträgen, Angaben über die zuständigen Kundenbetreuer, Angaben über die Art und die Höhe der anvertrauten Vermögenswerte). Diese Informationen überträgt X. in eine Tabelle oder Datenbank, die er auf einem Datenträger bearbeitet und zwischenspeichert, der ihm (oder der Bank?) gehört. Die Tabelle oder die Datenbank kopiert X. auf eine CD-ROM oder DVD und bietet sie dem deutschen Fiskus zum Kauf an. Der deutsche Fiskus nimmt das Angebot an, erwirbt den Datenträger und wertet ihn aus. Dabei stösst er auf den Namen des in Deutschland steuerpflichtigen Z. Die Informationen auf dem Datenträger begründen den hinreichenden Verdacht, dass Z. dem deutschen Fiskus Ansprüche entzogen hat. Die zuständige Staatsanwaltschaft wird orientiert. Sie eröffnet ein Steuerstrafverfahren gegen Z.

Strafrechtlich zu prüfen ist, wer (X, Y, Fiskus, Z) sich inwiefern strafbar gemacht hat. Strafprozessual ist zu prüfen, wer welche Informationen (Beweise) verwerten darf (man vergisst in der gegenwärtigen Diskussion, dass der Sachverhalt auch zivilrechtliche und eine staatsrechtliche Fragestellungen impliziert, die mindestens so brisant wären). Auf diesem Blog interessiert natürlich v.a. die strafprozessuale Frage der Beweisverwertung. Ausgehend vom oben dargestellten hypothetischen Sachverhalt lautet die Fragestellung einfach:

Dürfen die deutschen Strafbehörden im Verfahren gegen Z. die Informationen auf der vom Fiskus erworbenen Datenträger verwerten?
(Die Frage, ob gegen Z. überhaupt ein Strafverfahren eröffnet werden darf – bereits der Verdacht gründet ja bereits auf einer vermutlich strafbaren Handlung von X – blende ich hier aus).

Klar ist zunächst, dass diese Frage die deutschen Strafbehörden nach ihrem Recht zu beantworten haben. Das sollten wir hier den Deutschen überlassen, zumal die Frage demnächst vom Bundesverfassungsgericht entschieden werden soll. None of our business!

Wie würden die schweizerischen Gerichte die Frage beantworten (es gibt ja auch Schweizer, die Vermögenswerte ins Ausland – auch nach Deutschland – schaffen, um sie dem schweizerischen Fiskus vorzuenthalten)? Hier setzt das Eichel-Argument ein. Eichel, ehemaliger deutscher Finanzminister, behauptet ja bei jeder Gelegenheit, das Bundesgericht habe die Frage nach schweizerischem Recht bereits beantwortet. Dabei stützt er sich auf Berichte der NZZ und der Süddeutschen Zeitung. Die NZZ hat den nicht in der AS publizierten Entscheid BGer 2C.514/2007 vom 02.10.2007), dessen Erwägung 3 wie folgt lautet:

Vor Bundesgericht ist noch umstritten, ob die von der kantonalen Steuerverwaltung erlangten Informationen, die aus einer angeblich strafbaren Handlung einer Drittperson stammen (Verletzung des Geschäftsgeheimnisses), im Nachsteuerverfahren einem Beweisverwertungsverbot unterliegen.

Im Nachsteuerverfahren stehen der Veranlagungsbehörde die gleichen Befugnisse zu wie im ordentlichen Verfahren, und es gelten die gleichen Auskunfts- und Bescheinigungspflichten (Art. 153 Abs. 3 DBG). Gemäss Art. 127 Abs. 1 lit. d DBG sind Treuhänder, Vermögensverwalter und andere beauftragte (natürliche und juristische) Personen, die Vermögen des Steuerpflichtigen besitzen oder verwalten, verpflichtet, gegenüber dem Steuerpflichtigen Bescheinigungen über dieses Vermögen und dessen Erträgnisse auszustellen. Die Veranlagungsbehörde kann diese Bescheinigungen bei diesen Personen direkt einfordern, wenn der Steuerpflichtige sie nicht einreicht (Art. 127 Abs. 2 DBG). Vorbehalten bleibt das gesetzlich geschützte Berufsgeheimnis (Art. 127 Abs. 2 Satz 2). Zu den dem Berufsgeheimnis unterstellten Personen gehören etwa Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, nach Obligationenrecht zur Verschwiegenheit verpflichtete Revisoren usw. (vgl. Art. 321 StGB). Keine Einschränkung hinsichtlich der Auskunftspflicht besteht deshalb für Vermögensverwalter und Treuhänder (Känzig/Behnisch, Die direkte Bundessteuer, 2. Aufl. 1992, III. Teil, N 22 zu Art. 89 BdBSt für die analoge Regelung im früheren Bundesratsbeschluss über die direkte Bundessteuer). Das Gesetz spricht vom Berufsgeheimnis, das den Klienten, Mandanten, Patienten schützt. Demgegenüber fällt das Geschäftsgeheimnis gemäss Art. 162 StGB nicht unter die Geheimnispflicht, die von der Veranlagungsbehörde zu respektieren ist, weil es einzig den Geschäftsherrn schützt (Känzig/ Behnisch, a.a.O., N 23 zu 89 BdBSt).

Aus diesen Gründen hätte die kantonale Veranlagungsbehörde sich die Informationen über die Familienstiftung des Beschwerdeführers auch direkt beim Treuhänder beschaffen können. Die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung erlangten Beweise unterliegen daher keinem Beweisverwertungsverbot. Dass sie von einem liechtensteinischen Treuhänder stammen, ändert daran nichts. Für die Frage, ob die Daten einem Beweisverwertungsverbot unterliegen oder nicht, kann es nicht darauf ankommen, ob sie aus inländischer oder ausländischer Quelle stammen.

Der Entscheid des Bundesgerichts ist für die „offizielle“ Position der Schweiz tatsächlich ungemütlich, aber nicht einschlägig. Er betrifft ein Nachsteuerverfahren (kein Strafverfahren), das eröffnet wurde, nachdem ein Mitarbeiter eines Treuhänders in Liechtenstein Kundendaten dieses Treuhänders dem deutschen Fiskus gemäss Bundesgericht „zukommen liess“. Die Deutschen haben die Daten gutnachbarschaftlich der Eidg. Steuerverwaltung weitergeleitet, die wiederum die zuständigen Kantone bedient hat. Nach schweizerischem Recht sind Treuhänder im Gegensatz zu Banken im Nachsteuerverfahren auskunftspflichtig (Art. 127 DBG). Das Bundesgericht qualifizierte die Positionen des Beschwerdeführers, der ein Beweisverbot geltend machte, als offensichtlich unbegründet. Ob der Entscheid des Bundesgerichts richtig ist, steht für mich keineswegs fest. Ich zweifle aber keine Sekunde daran, dass das Bundesgericht unseren Sachverhalt genau gleich entscheiden würde, also zu Gunsten der Verwertbarkeit.

Die Rechtslage nach StPO/CH, die nächstes Jahr in Kraft treten wird, wird in einem Beitrag der NZZ vom 02.02.2010 dargestellt. Die neue StPO wird die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts zu den Beweisverboten voraussichtlich aber nicht ändern. Danach unterliegen von Privaten durch strafbare Handlung beschaffte Informationen jedenfalls keinem absoluten Verwertungsverbot. Es hat eine Interessenabwägung zu erfolgen, die m.E. nicht zu den Stärken des Bundesgerichts zählt. Ich gehe davon aus, dass sich das Bundesgericht der Auffassung von Schmid anschliessen würde (Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, Zürich 2009, § 58 N 802 FN 68):

Soweit die Strafverfolgungsbehörde nicht durch Anstiftung etc. an der ursprünglichen Beschaffung der Information beteiligt war, darf diese in den Schranken des Fairnessgebots (StPO 3 II) zum Ausgangspunkt eigener Ermittlungen gemacht werden. Auf diese Weise zugespielte Beweise wie Urkunden dürfen in den vorgenannt erwähnten Schranken direkt verwertet werden, also beispielsweise wenn von Informanten eine CD mit vollständigen Bankinformationen geliefert werden, wie dies etwa im deutsch/liechtensteinischen Steuerbetrugsfall u.a. gegen Postchef Zumwinkel wegen Steuerbetrugs der Fall war (…).

Weder Schmid noch das Bundesgericht sind Freunde von Beweisverwertungsverboten. Sie hängen an der Fiktion der materiellen Wahrheit, die über (fast) allem steht. Dieser Zweck heiligt fast alle Mittel.

Meine persönliche Meinung ist, dass die Daten nicht verwertet werden dürfen. Es handelt sich wohl um Beweise, die ursprünglich widerrechtlich von Privaten beschafft wurden. Indem die Steuerbehörden die widerrechtlich beschafften Daten kaufen, fällt die Widerrechtlichkeit auf sie zurück, und zwar unabhängig davon, ob der Kauf selbst als widerrechtlich qualifiziert wird. Es handelt sich damit um Beweise, welche die Behörden widerrechtlich erhoben haben. Damit befinden wir uns im Anwendungsbereich von Art. 141 Abs. 2 StPO/CH, der die Verwertung zulässt, wenn sie „zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich“ ist.

Was schwere Straftaten sind, ist nirgends definiert. Dass es nur Verbrechen sein sollen, was etwa die NZZ vorschlägt,  ist ein möglicher Ansatz, erweist sich aber als Wunschdenken. Das Bundesgericht hat jedenfalls in Haftsachen schon verschiedentlich auch Vergehen als schwere Straftaten bezeichnet. Griffiger wäre vielleicht der TK-Katalog von Art. 269 Abs. 2 StPO/CH, der aber nebst Verbrechen auch Vergehen, ja sogar Antragsdelikte wie Art. 180 StGB umfasst. Nicht erfasst sind Steuerdelikte, egal wie hoch die Deliktssumme ist. Meiner Meinung nach sind Fiskaldelikte nie schwere Straftaten, egal wie hoch die Deliktssumme ist. Der Rechtsstaat ist kein Opfer, das den besonderen Schutz des Strafrechts benötigt.

Vielleicht dient die vorliegende Diskussion dazu, dass man selbst in der Schweiz den Rechtsstaat wieder etwas ernster nimmt und insbesondere entdeckt, dass die Gesetze, die der Staat erlässt, auch für ihn selbst und seine Funktionäre gelten. Dazu sollen die Beweisverbote anreizen und u.a. dafür wurden sie erfunden: es soll dem Staat zumindest nichts nützen, wenn er seine eigenen Regeln verletzt. Der Zweck heiligt eben nicht jedes Mittel. Das müsste auch gelten, wenn der Zweck  „materielle Wahrheit“ heisst.