Zurück zum Anklageprinzip

In einer eher kurz gehaltenen Urteilsbegründung kassiert das Bundesgericht ein Urteil des Obergerichts ZH, das den Beschwerdeführer der Gefährdung des Lebens (Art. 129 StGB) verurteilt hatte, ohne dass dieser Tatbestand in der Anklage genannt oder hinreichend umschrieben gewesen wäre (BGer 6B_284/2024 vom 04.09.2024, a.o. Besetzung):

Der Tatbestand der Gefährdung des Lebens verlangt, dass der Täter einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt (Art. 129 StGB). Dem Beschwerdeführer ist zuzustimmen, dass sich aus dem vorstehenden Sachverhalt weder in objektiver Hinsicht ergibt, dass die Beschwerdegegnerin 2 durch sein Tun in unmittelbarer Lebensgefahr gewesen wäre, noch, subjektiv, dass der Beschwerdeführer skrupellos gehandelt hätte. Dass er den Tod der Beschwerdegegnerin 2 zumindest in Kauf nahm, genügt nicht. Es ist direkter Vorsatz hinsichtlich der unmittelbaren Lebensgefahr vorausgesetzt (vgl. BGE 142 IV 245 E. 2.1; 133 IV 1 E. 5.1; Urteil 6B_729/2019 vom 1. Mai 2020 E. 2.2.2 mit Hinweis). In tatsächlicher Hinsicht ging die Staatsanwaltschaft zudem davon aus, dass der Zug normal zum Stillstand gebracht werden konnte, nachdem der Zugführer die Gefahr rechtzeitig erkannt und gesehen hatte, dass sich die Beschwerdegegnerin 2 bereits wieder aufs Perron gerettet hatte. Unter den gegebenen Umständen musste der Beschwerdeführer nicht mit einer Verurteilung wegen Gefährdung des Lebens rechnen und eine solche scheidet aus. Dies gilt umso mehr, als die Anklage auch den entsprechenden Tatbestand nicht nennt, sondern einzig denjenigen der versuchten vorsätzlichen Tötung aufführt. Der Anklagegrundsatz ist verletzt (E. 1.2.2).  

Wäre der Beschwerdeführer wegen Gefährdung des Lebens angeklagt worden, hätte mich dieses Ergebnis eher überrascht, denn die Perspektive erscheint mir als wenig überzeugend. Aber eben: Anklagegrundsatz. Alles gut.