Zusatzstrafen nur zu inländischen Strafurteilen
In einem zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehenen Urteil ändert das Bundesgericht seine bisher (unbestrittene) Rechtsprechung und lässt Zusatzurteile nur noch zu inländischen Urteilen zu (BGE 6B_466/2015 vom 28.09.2016).
Die Erwägungen des Bundesgerichts sind klar und überzeugend:
Die Voraussetzungen für die Ausfällung einer Zusatzstrafe gemäss Art. 49 Abs. 2 StGB sind vorliegend nicht erfüllt. An der bisherigen Rechtsprechung, der die herrschende Lehre ohne Auseinandersetzung in der Sache folgt, eine Zusatzstrafe auch zu einem ausländischen Urteil ausgefällt werden kann, welches Taten betrifft, die nicht in den (räumlichen) Geltungsbereich des StGB fallen (…), ist nicht festzuhalten. Eine Zusatzstrafe kann nur zu inländischen Urteilen ausgesprochen werden.
Art. 49 StGB ist eine Strafzumessungsnorm, die – wie die übrigen Normen des StGB – nur zur Anwendung gelangt, wenn die zu beurteilende Straftat der schweizerischen Gerichtsbarkeit nach den Bestimmungen über den räumlichen Geltungsbereich unterliegt. Art. 49 Abs. 2 StGB soll gewährleisten, dass das in Abs. 1 verankerte Asperationsprinzip auch bei retrospektiver Konkurrenz zur Anwendung gelangt (…), erweitert hingegen den Anwendungsbereich des StGB nicht. Implizite Voraussetzung für eine Zusatzstrafe gemäss Art. 49 Abs. 2 StGB ist, dass für die bereits beurteilten und noch zu beurteilenden Delikte im Falle gleichzeitiger gerichtlicher Beurteilung eine Gesamtstrafe hätte ausgesprochen werden können (vgl. Urteil 6B_829/2014 vom 30. Juni 2016 E. 2.3.2, zur Publ. vorgesehen). Kommt jedoch eine gemeinsame gerichtliche Beurteilung und somit eine Gesamtstrafe nicht in Betracht, da die im Ausland begangenen Straftaten nicht in den (räumlichen) Geltungsbereich des StGB fallen, muss dies auch im Rahmen retrospektiver Konkurrenz gelten. Von einer vom Gesetzgeber nicht gewollten zufälligen Ungleichbehandlung schweizerischer und ausländischer Täter kann aufgrund der umfassenden gesetzlichen Regelung der schweizerischen Strafhoheit (vgl. u.a. Art. 3 – 7, Art. 185 Ziff. 5, Art. 260ter Ziff. 3, Art. 264m StGB; Art. 19 Abs. 4 BetmG; Art. 116 Abs. 1 lit. a AuG) entgegen BGE 115 IV 17 (E. II/5a/cc) keine Rede sein. Zudem kann auf die bereits in BGE 127 IV 106 (E. 2e) angedeuteten Schwierigkeiten verwiesen werden, die sich bei einer Anwendung von Art. 49 Abs. 2 StGB auf Auslandsurteile ergeben können.
Neben dem Vorliegen der schweizerischen Gerichtsbarkeit setzt die Ausfällung einer Zusatzstrafe gemäss Art. 49 Abs. 2 StGB voraus, dass die frühere Tat durch eine inländische Strafbehörde (materiell) beurteilt wurde. Denn auch in Fällen sog. doppelter Strafbarkeit der früheren Tat (…) übernimmt das Schweizer Gericht (respektive die Schweizer Strafbehörde) die im Ausland ausgesprochene Strafe nicht, sondern rechnet diese – soweit vollzogen – auf die von ihm auszusprechende Strafe an (vgl. Art. 3 Abs. 2, Art. 4 Abs. 2, Art. 5 Abs. 3, Art. 6 Abs. 4, Art. 7 Abs. 5 StGB). Dies setzt die eigene Beurteilung der früheren Tat durch eine inländische Behörde im Schuld- und Strafpunkt unter Einhaltung der prozessualen und materiellen Vorschriften voraus.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die kantonalen Gerichte hätten für die in der Schweiz begangenen Straftaten die von ihnen hierfür als angemessen erachtete Gesamtfreiheitsstrafe als eigenständige Strafe aussprechen müssen (E. 1.4.1).
Die Beschwerde wurde dennoch abgewiesen und als aussichtslos qualifiziert. Die ausgesprochene Zusatzstrafe von 22 Monaten ist als selbständige Strafe zu den ausländischen Grundstrafen zu qualifizieren. Diese lag innerhalb der bestrittenen Strafkompetenz des erstinstanzlichen Gerichts.
Im Entscheid rekapituliert das Bundesgericht seine neue Rechtsprechung zu Art. 49 Abs. 2 StGB (s. dazu meinen früheren Beitrag) wie folgt:
Gesamt- und Zusatzstrafe bilden zwar infolge retrospektiver Konkurrenz eine gedankliche Einheit, sind aber selbstständige Strafen. Die Zusatzstrafe ist die infolge Asperation mit der Grundstrafe reduzierte Strafe für die neu zu beurteilenden Taten. Sie tritt zur Grundstrafe des rechtskräftigen Ersturteils hinzu und ergänzt diese. Die Strafgewalt des die Zusatzstrafe aussprechenden Gerichts ist auf die noch nicht beurteilte (n) Tat (en) beschränkt. Es darf im Rahmen retrospektiver Konkurrenz das rechtskräftige Urteil nicht aufheben und keine Gesamtstrafe für alle Straftaten aussprechen (6B_829/2014 vom 30. Juni 2016 E. 2.4.1 f., zur Publ. vorgesehen; vgl. auch: Jürg-Beat Ackermann, a.a.O., N. 129 f. zu Art. 49 StGB; je mit Hinweisen) [E. 1.4.2].
und wann kriegt es die Vorinstanz endlich mit dem Dispo richtig hin? 🙂
“2.
Die Vorinstanz wurde vom Bundesgericht bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass sie als Berufungsgericht über umfassende Kognition in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht verfügt. Sie fällt ein neues, den erstinstanzlichen Entscheid ersetzendes Urteil und darf sich nicht damit begnügen, die erstinstanzliche Rechtsanwendung zu überprüfen (vgl. BGE 141 IV 244 E. 1.3.3 S. 248; Urteil 6B_1167/2015 vom 25. August 2016 E. 1.3). Hinsichtlich der formellen Anforderungen an das Dispositiv des in der Sache ergehenden Berufungsurteils wird nochmals auf Art. 81 i.V.m. 408 StPO verwiesen (hierzu: Urteile 6B_519/2015 vom 25. Januar 2016 E. 2; 6B_811/2015 vom 13. Januar 2016 E. 3; je mit Hinweisen).”