Zwangsmassnahmen bei Übertretungen?

Anlässlich eines Kammer-Seminars vom 07.09.2005 in Bern wurde die Ansicht vertreten, Zwangsmassnahmen nach Art. 45 – 60 VStrR seien nur bei Vergehen und Verbrechen zulässig. Da es sich bei den Strafbestmmungen nach Art. 85 ff. MwstG um Übertretungen handle, seien Zwangsmassnahmen nicht zulässig.

Art 45 Abs. 2 VStrR schliesst Zwangsmassnhamen ausdrücklich nur für Ordnungswidrigkeiten aus. Ob die Hinterziehungs- und Gefährdungsbussen nach Art. 85 ff. MwstG bloss Ordnungswidrigkeiten darstellen, darf wohl bezweifelt werden. Die beiden Straftatbestände sanktionieren doch nach der Vorstellung des Gesetzgebers eher kriminelles Unrecht denn blosses Verwaltungsunrecht. Sie sind übrigens Gegenstand des eben erwähnten Betrugsabkommens CH/EU und damit amts- und rechtshilfefähig.

Das Bundesgericht hat diese Frage m.W. noch nie geklärt. Immerhin hatte es Sachverhalte zu beurteilen, bei denen Zwangsmassnahmen im Übertretungsstrafverfahren angewendet wurden (BGE 118 IV 67, wo es auf die Beschwerde gegen die Durchsuchung aber eben nicht eingetreten ist; s. dazu aber VPB 62.113).

Im Ergebnis erscheint die eingangs zitierte Auffassung allerdings schon richtig. Es ist m.E. kaum je verhältnismässig, zur Verfolgung blosser Übertretungen Zwangsmassnahmen einzusetzen. In vielen kantonalen StPO ist denn auch der Verdacht zumindest eines Vergehens Voraussetzung für die Anwendung von Zwangsmassnahmen.

Zwischen beiden Auffassungen scheint der Vorentwurf zu einer Schweizerischen Strafprozessordnung zu stehen. Dessen Art. 420 Abs. 2 sagt folgeendes: “Eine Razzia, Hausdurchsuchungen sowie Durchsuchungen von Personen sind zulässig, wenn die Bedeutung der Übertretung diese Massnahmen rechtfertigt.” Alles klar?