Zwillingsmord oder die Einsamkeit der Verteidigerin

Im Prozess um die d0ppelte Kindstötung steht das Urteil zwar noch aus. Folgt man der Presseberichterstattung, zweifelt aber wohl niemand daran, dass die wegen Mordes angeklagte Mutter entsprechend den Anträgen des Staatsanwalts verurteilt werden wird. Insbesondere der Berichterstatter der NZZ hielt mit mehr oder weniger offener Kritik an der Verteidigung nicht zurück. In der heutigen Printausgabe (online ist nur der sda-Text) fasst er das Plädoyer wie folgt zusammen:

Die Verteidigerin […] hatte keinen einfachen Stand. Sie versuchte, einzelne Indizien zu entschärfen. Unter anderem bezeichnete sie manche Aussagen des Ehemanns als Schutzbehauptungen. Sie plädierte auf einen Freispruch. Für den Fall, dass die Geschworenen die Angeklagte schuldig sprechen, forderte sie einen Schuldspruch bloss wegen Totschlags und eine Strafe von 7 Jahren. Für Irritationen sorgte die Anwältin, als sie eine «Probezeit von 3 Jahren» und eine «ambulante stationäre Therapie» beantragte; Probezeiten werden nur bei bedingten Strafen ausgesprochen, und eine Therapie kann entweder ambulant oder stationär sein.

Am 13. März hatte derselbe Reporter über mehrfache Zurechtweisungen der Verteidigerin berichtet:

Da die Anklage auf Indizien und den Angaben des Vaters beruht, suchte die Verteidigerin in diesen hartnäckig nach Widersprüchen. Der Gerichtsvorsitzende Pierre Martin wies sie mehrmals zurecht. Auch der Staatsanwalt und der Anwalt des Vaters intervenierten, als sie Protokolle sinnentfremdend verkürzte oder ein Gutachten ziemlich frei interpretierte.

Nun, ich war nicht dabei, aber wenn die NZZ-Berichterstattung den Tatsachen entspricht, muss man sich fragen, ob die Beschuldigte wirksam verteidigt wurde. Andererseits stelle ich oft genug fest, dass die Presse (die NZZ eigentlich sonst nicht) tendenziell für die Anklage Partei ergreift. Wieso eigentlich? Und: inwiefern beeinflusst die Berichterstattung die Richter? Und tausend weitere Fragen …